Informationen zu Blogbuch
Ergänzend zur Printausgabe der PHOTONEWS starteten wir Ende 2011 einen Blog zum Themenschwerpunkt Fotobuch mit Rezensionen, Interviews und Debatten. PHOTONEWS Blogbuch wird von dem Fotobuch-Experten Peter Lindhorst betreut.
Input Blogbuch
Aktuelles aus dem Blogbuch
Debatten
Interview mit Klaus Kehrer
Vor einem Jahr, in der PHOTONEWS Ausgabe September 2014, erschien ein umfassendes Interview mit Klaus Kehrer. Peter Lindhorst hatte den Verleger im Sommer 2014 in Berlin getroffen. Das Gespräch ist für Fotobuchfans sehr interessant, so dass wir es nun auch im Blog veröffentlichen.
„Ein Verleger ist schließlich kein Räuber!“
Ein Gespräch mit Klaus Kehrer
Berlin ächzt unter der glühenden Hitze. T-Shirts sind in Rekordzeit durchgeschwitzt. Klaus Kehrer hat am Abend zuvor eine Ausstellung in seiner neuen Berliner Galerie eröffnet. Lang ist es geworden. Der Verleger ist müde, aber dennoch gut gelaunt und auskunftsfreudig bei unserem Treffen. Allen Widrigkeiten zum Trotz entspinnt sich sofort ein konzentriertes Gespräch über das Selbstverständnis eines Verlegers, die Anfänge des Kehrer Verlags, den Fotobuchmarkt und das heiß diskutierte Thema der Buchfinanzierung.
Peter Lindhorst/Photonews: Was ist wichtiger, um die Rolle eines Verlegers auszufüllen? Ein Händchen für Fotografie oder ein kaufmännisches Gespür?
Klaus Kehrer: Man braucht beides. Wenn der Verleger Liebe und Herzblut für die Fotografie mitbringt und nicht in der Lage ist wirtschaftlich, zu denken, dann können sich seine Autoren bzw. Partner strategisch nicht auf ihn verlassen und riskieren, ein Buch mit einem Verlag zu machen, der drei Jahre später pleite sein kann.
Wie kamst Du dazu, Verleger zu werden?
Ich wollte ursprünglich Künstler bzw. Maler werden, hab Theater gespielt und war allgemein an Kunst sehr interessiert. Parallel dazu hatte ich aus familiären Gründen an der Uni Mannheim Wirtschaft studiert. Dieser Spagat war nicht einfach für mich, hat in der Konsequenz jedoch dazu geführt, dass ich mich für die Vermittlung von Kunst zu interessieren begann. So entstand der Wunsch, Galerist zu werden.
Deshalb habe ich damals an der Hochschule eine Diplomarbeit über Marketing für zeitgenössische Kunst geschrieben, mich ausgiebig mit dem Galeriewesen beschäftigt. Mir war schnell klar, dass ich ohne Kontakte als Galerist kaum würde überleben können. So habe ich mich entschieden, in einen Kunst- und Fotobuchverlag zu gehen, zunächst in der Absicht, Künstler, Kuratoren und Sammler kennen zu lernen, und mit dem Ziel vor Augen, eines Tages Galerist zu sein.
Wo wurdest Du tätig?
Ich hab für die Edition Braus gearbeitet. Günter Braus war zu der Zeit ein Verleger mit Hausdruckerei, technisch hervorragend, es entstanden sehr gute Resultate. Da habe ich sehr viel, auch in technischer Hinsicht, gelernt und nach und nach den Plan, eine Galerie zu eröffnen, vernachlässigt, weil mir das Büchermachen extrem viel Spaß gemacht hat. Fragen, die mir in früheren Jahren Identitätskrisen beschert hatten wie „Bin ich Künstler oder kreativer Gestalter, bin ich Kaufmann, ist Kommunikation meine Stärke?" beantworteten sich von selbst und mündeten in einen spannenden Lebensentwurf mit Aussicht auf eine interessante, wenngleich nicht abgesicherte Zukunft für mich.
Aber wie entsteht aus der Freude am Büchermachen der Entschluss zur Verlagsgründung?
Ich habe nach der Zeit bei Braus als Allrounder selbstständig Kataloge für Museen und Künstler gestaltet, produziert und im Fortdruck an andere Verlage verkauft. Irgendwann sprachen mich Leute an, die meine Sachen kannten und sagten: Schade, dass du keine Distribution hast und die Bücher nicht selbst vertreiben kannst. Ich dachte nach und gründete ziemlich blauäugig einen Verlag. Ich war erst einmal überrascht von den Anfangsinvestitionen und den hohen Kosten, die da auf mich zukamen: Versicherungen, Genossenschaften, Börsenverein etc. – Ansprüche von allen Seiten, auch wenn noch kein Buch verkauft worden ist.
Wie sah der Fotobuch-Markt damals aus?
Es war schwierig, sich als Neuling in einem aufgeteilten Markt seinen Weg zu bahnen. Es gab namhafte Verlage, so dass es nicht einfach war, auch die interessanteren Projekte ins Programm zu bekommen. Da ich viel mit Museen zusammen gearbeitet hatte und über Kontakte verfügte, war die Ausgangsbasis sicher nicht die schlechteste. Dennoch brauchte es Jahre, bis etliche wichtige Künstler und Institutionen im Programm versammelt waren. Ich hab die ersten fünf Jahre nichts verdient, bin nur mit viel Engagement über die Runden gekommen. Nach und nach hat sich der Verlag einen gewissen Ruf erworben. Die Buchhändler nahmen uns verstärkt wahr und kauften die Bücher ein. Wir entwickelten ein internationales Netzwerk. Der Vertrieb in England und den USA wurde ausgebaut und dann fing es langsam an zu laufen. Die ersten Jahre aber waren, wirtschaftlich gesehen, echt die Hölle.
Der Arbeitsaufwand in einem kleinen, neuen Verlag ist extrem hoch?
Stimmt, ich hab ganz viel selbst gemacht. Selbst gestaltet, nachts die Bilder bearbeitet und stets versucht, jedem einzelnen Projekt noch mehr Qualität zu geben. Es war klar, dass man sich nur durch sehr gute Ergebnisse einen guten Ruf erwirbt und nicht etwa nur über günstige Preise. Es geht nur über Qualität.
War von Anfang an klar, dass Fotografie der Schwerpunkt war?
Nein, anfangs gab es viel Bildende Kunst im Programm. Über die Jahre hat sich das Programm in Richtung Fotografie entwickelt, weil diese für mich zu einer Leidenschaft wurde, aber auch, weil ich damals gesehen habe, dass sich Fotobücher eher als textaufwändige Publikationen der Bildenden Kunst internationalisieren lassen. Hinzu kam, dass die Fotografie mit der Digitalisierung ?einen Aufschwung erlebte und deutlich mehr Beachtung fand. Wenngleich Kehrer heute als Fotobuchverlag bekannt ist, verlegen wir immer auch Kunstbände. Ich rechne damit, dass es in der Fotografie irgendwann einen Einbruch gibt, weil wir eine Inflation der Bilderwelt erleben und wenn irgendwann der Fotobuchmarkt hierauf reagiert, ist es vermutlich gut und vorausschauend gewesen, ein zweites Standbein in der Bildenden Kunst aufrecht erhalten zu haben.
Wie kann man heute als Fotobuch-Verlag wirtschaftlich arbeiten?
Ich muss an einem anderen Punkt ansetzen, wenn wir über Wirtschaftlichkeit sprechen, über Menge der Titel und die Ausrichtung. Damit ein Verlag funktioniert, muss er eine bestimmte Teamgröße haben und damit einen gewissen Output leis?ten. Heute sind bei uns fünf Leute allein im Marketing, wir haben zwei Produktioner mit sehr viel technischer Erfahrung, es sind drei Graphikerinnen tätig und drei Bildbearbeiter beschäftigt. Wir sind ein autarkes Team. Was in die Druckerei rausgeht, sind druckfertige Daten. Wir arbeiten mit einer kleinen Auswahl an guten Druckereien zusammen, bei denen wir aufgrund des nennenswerten Volumens eine gewisse Nachfragemacht und eine Position haben, die es uns ermöglicht, dafür zu sorgen, dass die Qualität stimmt.
Diese beschriebene Logistik erfordert einen enormen Kostenaufwand. Da muss man sein Programm schon ausdehnen?
Wenn man zu dem Punkt kommt, wo man mit einem Team arbeitet, das alle Bereiche möglichst ausreichend bedient, dann ist da eine Kos?tenstruktur, die recht beachtlich ist. Du kannst im Programm und der Auswahl nicht mehr so klein bleiben, die fixen Kosten müssen auf mehr Projekte umgelegt werden, du musst mehr produzieren. Es führt dazu, dass man einen bestimmten Umsatz benötigt, um wirtschaftlich zu arbeiten. Mir wird zuweilen vorgeworfen, dass man den Schwerpunkt – z. B. zeitgenössische Fotografie – gar nicht mehr so genau deuten könne. Mittlerweile gibt es bei uns klassische Positionen, es gibt junge, frische Positionen, es gibt die ganze Bandbreite der Fotografie. Jeder Verlag, der eine bestimmte Größe hat, muss diese Bandbreite bedienen, wenn die Zahlen stimmen sollen.
Wie wird man überleben, wenn sich bewahrheiten sollte, dass der Fotobuch-Markt Einbrüche erlebt?
Ich rechne mit Einbrüchen und hoffe, dass wir mit der Marktposition, die wir heute haben, schwierige Situationen überstehen können. Natürlich beobachte ich den Markt; denn ich wäre ein schlechter Unternehmer, wenn ich mir keine Gedanken machen würde. Ein Beispiel: Die Vermittlungsstruktur über die Buchhändler bricht weg. Viele der unabhängigen und eher kleinen Buchhändler nehmen die Kunst aus dem Sortiment, weil sich nicht genug dreht, andere geben auf. Die ganzen tollen Leute, die in der Szene als Vertreter etc. unterwegs sind, hören irgendwann altershalber oder aus wirtschaftlichen Gründen auf. Wie kann man dieses Wegbrechen des klassischen Vertriebs ausgleichen? Wir versuchen, über die Intensivierung der Public Relations, über eine gute Präsenz in den Medien so viel Aufmerksamkeit zu generieren, dass die potentiellen Käufer informiert sind und von sich aus in die Buchhandlungen gehen oder bei Internetanbietern bestellen. Wir setzen, leider muss ich sagen, notgedrungen und zunehmend auf die Medien statt auf den Sortimentsbuchhandel.
Das andere ist: Wie kommen wir näher an die Endkunden ran? Es ist eine kleine Community, die Foto?bücher kauft. Wir wissen, dass Bücher heute Objektcharakter haben müssen, und dass es heute nicht mehr nur um Inhalte geht, wenn die Sammler sich angesprochen fühlen sollen. Man könnte sagen, wir müssen „Objects of Desire“ kreieren. Wenn ich gleichzeitig weiß, dass das Interesse zwar groß ist, die Kaufkraft zumindest der Mittelschicht aber eher abnimmt und die Sammlerszene zumindest nicht wächst, dann muss ich näher an diese Schicht rankommen, um Einbußen auszugleichen. Direct Marketing ist das Thema. Deshalb sind Festivals wichtig, Arles, Wien, Unseen, Paris Photo etc., weil man dort im direkten Kontakt mit den Leuten ist, die Bücher lieben und kaufen.
Wie passt da Dein neuestes Projekt, die Galerie, hinein? Ist das auch eine Form des Direct Marketings?
Das Projekt hat sich entwickelt. Anfangs gab es einen Showroom in Berlin, der als eine Möglichkeit gedacht war, unser Programm in der Hauptstadt, in der viele Künstler leben und die viele Besucher anzieht, umfänglich zeigen zu können. Da gab es zunächst die Idee, Kunst zum Buch zu zeigen, vielleicht ein Café zu integrieren. Es stellte sich heraus, dass das Investment in Berlin solche Ausmaße annahm, dass ein solcher Showroom zu hohe Verluste mit sich bringen und niemals rentabel sein würde. So entstand die Idee einer wirklichen Galerie für Fotografie. Mir ist klar, dass auch die Galerie Jahre brauchen wird, bis sie sich selbst tragen kann. Ich habe mich bei der Planung zwischen?durch immer wieder gefragt, warum ich so viel Geld investiere, bis ich verstanden habe, dass ich mir eigentlich einen alten Traum erfülle. Da schließt sich der Kreis, ich wende mich einem ursprünglichen Berufswunsch zu. Natürlich wird es in der Galerie auch Bücher geben, man wird etwas aus dem Verlagsprogramm sehen können, aktuelle Titel und wohl auch Publikationen anderer Verlage, die im Kontext der jeweiligen Ausstellung von Interesse sind. Galerie und Verlag sollen Sy?nergieeffekte realisieren können und sich wechselseitig bestärken. Es wird genauso Ausstellungen geben, zu denen es kein oder noch kein Buch im Kehrer Verlag gibt oder aber der Künstler bei einem anderen Verlag publiziert hat.
Pflegst und baust Du Deine Künstler langfristig auf?
Ein Galerist muss eine Vermittlungs- und Vermarktungsfunktion übernehmen. Es wird Vereinbarungen geben, die exklusiv sind. Aber es wird auch Künstler geben, die man parallel zu anderen Galerien in Europa oder Übersee zeigt. Das Ziel ist es, strategisch mit den Künstlern zu arbeiten, ich ziehe eine langfristige Zusammenarbeit stets der Eintags?fliege vor. Es geht nicht nur darum, eine Ausstellung zu machen. Das reicht viel zu kurz, würde die Künstler nicht zufrieden stellen und wäre langfristig kein erfolgversprechendes Modell.
Zurück zum Verlag. Gilt das Gleiche für Deine Künstler im Verlagsprogramm?
Das ist genau das Gleiche. Es ging mir immer darum, langfristige Künstlerverbindungen aufzubauen. Da gibt es im Verlagsprogramm sehr gute Beispiele wie Jessica Backhaus, mit der wir fünf Bücher gemacht haben. Oder Andrew Phelps oder Susan Hefuna. Die Zusammenarbeit wird mit jedem Projekt effi?zienter. Man kennt sich und vertraut sich. Man weiß, mit wem man arbeitet. Dazu kommt, dass beim Büchermachen Freundschaften entstehen.
Kommen wir zu dem heißen Thema der Finanzierung...
Da hab ich eine eindeutige Haltung. Transparenz gegenüber Partnern ist ein – wie ich meine – zeitgemäßes Verhaltensprinzip. Im Grunde ist es ganz einfach: Man spricht über ein bestimmtes Projekt, hat verschiedene technische Spezifikationen im Kopf, eine bestimmte Ausstattung und den Auflagenbedarf und kann dann die Produktion kalkulieren. Die kostet dann den Betrag X, dazu rechnest du die Marketingkosten Y. Dann hast du – wie bei einer Bilanz – auf der einen Seite die Kosten addiert, auf der anderen Seite veranschlagst du den erwarteten Planumsatz im Handel und eventuell den Umsatz mit weiteren Partnern. Ein junger Künstler wird vielleicht eine kleinere Auflage verkaufen, abhängig natürlich auch davon, wie interessant das Projekt für eine mehr oder minder große potentielle Käuferschicht ist. Nehmen wir an, du erwartest bei ihm 400 verkaufte Exemplare innerhalb der ersten zwei Jahre nach Erscheinen. Die bringen vielleicht 4.000 Euro Rücklauf; denn wenn ein Buch 40 Euro kostet, kommen nach allen Abzügen, d.h. Rabatten, Vertreter- und Vertriebsprovisionen und weiteren Gebühren der Auslieferung – realistisch gerechnet – vielleicht etwas mehr als zehn Euro beim Verlag an. Das deckt gerade etwas mehr als die Marketingkosten, d.h. auf der Seite der Ertragsseite dieser Bilanz hast du ein echtes Defizit, das durch Stiftungsgelder, Förderungen, privates Engagement, durch Verkauf von Subskriptionen oder Editionen etc. kompensiert werden muss. So funktioniert leider das Prinzip.
Sind junge Fotografen naiv und wissen nicht, wie teuer Buchproduktionen sein können? Viele sind schockiert, wenn sie hören, dass sie eine Selbstbeteiligung mitbringen müssen.
Gerade junge Fotografen wissen häufig zu wenig über den Fotobuchmarkt, wissen nicht, wie hoch die Abzüge im Handel sind und welcher Aufwand in einem professionellen Verlag zu berücksichtigen ist. Und machen sich nicht ausreichend klar, dass wir uns –- im Gegensatz zur einfarbig gedruckten Literatur – in einem Bereich bewegen, in dem die Verkaufszahlen eher niedrig, die Produktionskosten des bildintensiven Buches dagegen sehr hoch sind und das viel besprochene Print-on-Demand alles andere als wirtschaftlich ist.
Aber ich habe sehr großes Verständnis für die jungen Fotografen. Sie haben eine Menge Geld für Recherchen, Reisen und Material ausgegeben und sollen dann noch mit für die Finanzierung ihres Buches sorgen. Mit tut das leid und ich bin da nicht der Einzige, habe lediglich meine Erfahrungen längst hinter mir. Verleger, die vor diesem Hintergrund Fotobücher junger Künstler ohne Mitfinanzierung riskieren, haben es nach kurzer Zeit schwer, über die Runden zu kommen. So sagte mir ein junger Kollege auf der letzten Paris Photo, er wisse nicht, wie er weiter überleben solle. Solange du als Verlag die Kosten für ein solches Buch bei mäßiger Umsatzerwartung allein stemmen musst, wird es dich ruinieren. Wenn ich Bücher für 3.000 bis 5.000 Euro verkaufe, kann ich nicht eine Produktion von 15.000 Euro damit bezahlen. Die Leute wissen zu wenig über das Business. Ich hab schon überlegt, ob wir nicht mal selbst eine Version von „How to make a book“ produzieren sollten, die viele der Fragen klärt, die das Verlagsteam täglich zu beantworten hat.
Kann es dennoch passieren, dass jemand völlig ohne Geld kommt und Du sagst, ich mache das Projekt?
Diese Überlegung gibt es immer wieder. Man darf sich das aber nur ganz selten erlauben. Ich kann rechnen, denn sonst würde es uns längst nicht mehr geben.
Darf man über Auflagenhöhen sprechen oder ist das ein Tabu?
Kein Problem, wir machen fast nichts mehr unter 1.000 Exemplaren, weil wir schon eine gut ausgebaute Vertriebsstruktur haben. Man ist manchmal versucht, lediglich 500 oder 600 als sicheren Bedarf gemäß Planverkauf zu produzieren, aber da ein Neudruck sehr teuer ist, rechnet man stets mit erforderlichen Reserven, denn ein Buch kann ja besser als geplant laufen oder es kommt eine weitere Ausstellungsstation mit Bedarf an Büchern hinzu. 1.000 ist eine Untergrenze und je nach Projekt können es durchaus 2.000 oder mehr als 3.000 Exemplare sein. Bei der Bestimmung der Auflage fließen die Bekanntheit, der Reiz des Themas und die Internationalität des Titels mit ein.
Ein anderes heißes Thema ist das Verramschen. Pflegt Ihr eigentlich Eure Titel-Backlist?
Grundsätzlich verramschen wir frühestens nach drei Jahren, während andere Verlage nach 18 Monaten schon den Ladenpreis aufheben. Die Lagerkosten drücken natürlich. Ich persönlich empfinde es noch immer als dreist gegenüber den Partnern, wenn die Bücher schon nach ein oder zwei Jahren auf den Wühltischen zu finden sind. Eine Publikation hat gerade vor dem Hintergrund des großen Inputs aller Beteiligten Respekt verdient, so dass man sie nicht so bald über das Moderne Antiquariat abschießen sollte. Der Markt dagegen verlangt nach immer kürzen Buchlebenszyklen. Ich hatte in den letzten Wochen zweimal den Fall, dass Museen als die jeweiligen Projektpartner die Überbestände schon nach weniger als einem Jahr Laufzeit loswerden wollten. Ich habe mich bisher bei der Restverwertung sehr zurückgehalten, manche Titel sind seit mehr als fünf Jahren lieferbar gehalten. Aber der Markt gibt derzeit einen ganz anderen Takt vor. Ich fände es prima, wenn Partner und Interessierte mehr auf das Backlist-Management der Verlage achten und zur Kenntnis nehmen würden, dass wir viele Titel deutlich länger bereithalten als andere Verlage, unsere Backlist pflegen und nicht vorrangig auf den schnellen Verkauf ausgerichtet sind. Wenn man den aufwändigen Verlagskatalog, die Vertriebsanstrengungen, die Aktivitäten auf Messen, Festivals etc. in Betracht zieht, dann wird auch klarer, warum wir einen bestimmten Betrag für Marketingkosten anzusetzen haben, in den auch die kos?tenintensive Bereithaltung der Backlisttitel einfließt.
Rätst Du einem jungen Fotograf, der zu Dir kommt und eine Kalkulation aufgemacht bekommt, die er nicht erwartet, sein Buch in Eigenregie zu produzieren?
Mach ich öfters, ehrlich gesagt. Ich muss nicht jedes, auch nicht jedes interessante Projekt unbedingt ins Programm nehmen, wenn das Erscheinen im Verlag den Künstler in seiner Karriere nicht voranbringen kann und die Verlagskosten nicht im Verhältnis zum Aufwand stehen. Manchmal hat ein eingereichtes Projekt einfach nicht das Potential für einen Verlag oder ist aufgrund hoher Stückkosten bei hohem Handarbeitsanteil und gleichzeitig geringer Verkaufserwartung einfach besser im Wege des Self-publishing in kleinerer Auflage zu vertreiben.
Was denkst Du über Self-publisher?
Self-publishing ist eine wunderbare Erfindung für manche Projekte, aber du musst als Fotograf alle Arbeit des Verlages machen, wenn die Bücher nicht im Keller liegen bleiben sollen. Wenn er das nicht leisten kann und sein Projekt attraktiv genug ist, geht er besser zu einem Verlag. Dieser verfügt über die notwendige Kompetenz bzw. Struktur, leistet die Herstellungs-, Vertriebs- und Marketingarbeit und gibt dem Buch schließlich auch die Weihe des Verlags. Das Logo eines Verlags kann so eine Art Qualitätsstempel sein. Ein Künstler muss überlegen, ob er das will und ob es ihm das wert ist. So sind wir wieder beim Stichwort Investment und kommen erneut zu dem Punkt, wo man einem jungen Künstler sagt, das erste Buch ist eine Investition, eine sehr teure Visitenkarte. Je besser es gemacht ist, desto eher bleibt es in Erinnerung. Ich freue mich immer, wenn ein Künstler von Kuratoren und Sammlern mit seinem Buch wahrgenommen wird und mir berichtet, er habe nun nennenswerte Ausstellungen und seine Investitionen zurück erhalten mit dem Verkauf von Prints. Der Verleger ist nicht der Räuber, der gegen Geld das liefert, was der Self-pub?lisher sowieso besser kann. Es geht immer um die Zielsetzung und um Strategie. Was will ich genau? Will ich meinen Namen bekannt machen, in die richtigen Kreise kommen, oder will ich einfach ein Buch machen, was immer damit nach der Produktion auch geschieht.
Bist Du zuversichtlich, was die Zukunft Deiner Projekte betrifft?
Ich bin zuversichtlich, weil ich denke, wenn man Marktveränderungen rechtzeitig erkennt und auf sie reagiert, hat man eine Überlebenschance. Der Verlag hat mittlerweile eine Größe erreicht, mit der er relativ stabil und gesund dasteht. Vor zehn Jahren hätte ich mir deutlich mehr Sorgen gemacht. Es ist doch so: Wenn man die ersten Jahre überstanden hat, dann haut es einen nicht mehr so leicht um wie in der Anfangsphase. Ich bin nicht ängstlich, aber als halbwegs vernünftiger Mensch mache ich mir dennoch Gedanken um die Sicherung der Zukunft, das ist klar.
Text und Interview: Peter Lindhorst
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