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Ergänzend zur Printausgabe der PHOTONEWS starteten wir Ende 2011 einen Blog zum Themenschwerpunkt Fotobuch mit Rezensionen, Interviews und Debatten. PHOTONEWS Blogbuch wird von dem Fotobuch-Experten Peter Lindhorst betreut.
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Debatten
Das Fotobuch als Poldermodell. Ein Gespräch mit Rik Suermondt über Fotobücher und die aktuelle Ausstellung „Feest van het Fotoboek“
22.3.12 Im Vorfeld der Ausstellung über niederländische Fotobücher seit 1945, die gerade im Fotomuseum Rotterdam unter dem Titel „Feest van het Fotoboek“ eröffnet wurde, fand dieses Interview mit Rik Suermondt, einem der beiden Initiatoren der Ausstellung und des Katalogbuches statt.Dessen Pulsfrequenz war deutlich erhöht, fand unser Gespräch doch unmittelbar vor der Auslieferung des Buches und kurz vor dem Aufbau der Ausstellung statt. Umso überraschender, dass Rik Suermondt sich äußerst auskunftsfreudig zeigte und einen ausgedehnten Exkurs in Sachen Fotobuch gab. Der Kunsthistoriker, Ausstellungsmacher, Autor und Dozent an den Hochschulen in Utrecht und Breda, ist ein ausgemachter Spezialist auf dem Gebiet des Fotobuchs in den Niederlanden. In der Vergangenheit hat er neben zahlreichen Monografien niederländischer Fotografen auch verschiedene Publikationen und Aufsätze über Fotobücher herausgegeben. In dem Interview stellt sich mein Gesprächspartner als ein absoluter Kenner heraus, der immer wieder rare Bücher an seinem Schreibtisch hervorkramt, um diese zu präsentieren. Für den Interviewer eine wahre Lehrstunde!
Photonews: Rik, du bist zusammen mit Frits Gierstberg Initiator der Ausstellung „Feest van het Fotoboek“, die derzeit in Rotterdam stattfindet. Woher rührt dein spezielles Interesse für das Fotobuch?
Rik Suermondt: Anfang der 80er Jahre studierte ich Kunstgeschichte. Ich hatte einen Freund, der das auch dort war und Kunstbücher sammelte. Er brachte mich mit relevanten Fotobüchern in Berührung, z.B. mit den Titeln von Ed van der Elsken und Johan van der Keuken. Das fand ich unmittelbar interessant, und so konnten wir schließlich zwei der Professoren an der Hochschule überzeugen, Fotografie, die bisher keine Rolle an der Hochschule spielte, als Forschungsfeld zu bearbeiten. Einer der Professoren besaß ebenfalls zahlreiche Fototitel und schlug vor, das Thema niederländische Fotopublikationen eng mit dem Bereich der Verlage zu verknüpfen und die Beziehungen von Künstler und Produzent herauszuarbeiten. So untersuchten wir, wie Bücher entstanden sind, wie die Fotografen zu den Verlagen kamen, welche Interessen die beiden Gruppen verfolgten, etwa anhand von Ed van der Elsken und dem Amsterdamer Verlag „De Bezige Bij“. Es kamen einige weitere Studenten an der Universität Utrecht hinzu und wir wurden zu so etwas wie Vorreitern, die sich dort speziell mit dem Genre des Fotobuchs beschäftigten.
Für mich persönlich bedeutete Ed van der Elskens „Een Liefdesgeschiedenis in St. Germain des Prés“ den Eintritt in die Welt des Fotobuchs, und in ähnlichem Maße auch Emmy Andriesse, die eine Mentorin von Van der Elsken war. Sie war eine leider schon früh verstorbene Fotografin, die im 2. Weltkrieg die Besetzung der Niederlande durch die Deutschen dokumentierte und die später u.a. das Buch „De Wereld van Van Gogh“ gemacht hat. Das kann man in der Ausstellung neben vielen anderen Beispielen sehen. In dem Buch sind Reproduktionen der Kunstwerke mit ihren Fotos kombiniert, auf faszinierende Weise lässt sie den Geist der Kunst van Goghs in ihren Fotos fortleben. Und schließlich ist natürlich „Paris Mortel“ von Johan van der Keuken zu nennen, das 1963 erschienen ist und mich nachhaltig beeindruckt hat.
Nach meiner Dissertation 'De fotoboeken van Uitgeverij Contact' (1987) habe ich zusammen mit Mattie Boom an dem Buch „Foto in Omslag. Het Nederlandse documentaire fotoboek na 1945” gearbeitet. Das war das erste Mal, dass eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Fotobuch in den Niederlanden stattfand. Darin werden Objekte detailliert beschrieben und in den zeitlichen Kontext gesetzt. Gary Badger und Martin Parr haben das Buch später u.a. als Quelle für ihre eigene Anthologie „The Photobook“ genutzt. Unser Buch erschien 1989, war zweisprachig, aber kaum jemand kennt es heute in den Niederlanden. Es ging mir nicht nur darum, wichtige niederländische Bücher aufzuzählen, sondern auch darzustellen, wie die Bücher gestaltet sind und in welcher Weise sich Beziehungen zwischen Fotobüchern erkennen lassen.
Warum findet ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt die Ausstellung statt? Ist die Situation derzeit opportun, um das Fotobuch zu resümieren?
Hinter dieser Ausstellung steht kein Jubiläum. Und es ist auch nicht Kalkül, weil das Fotobuch derzeit so in aller Munde ist. Vor einigen Jahren fragten mich die Verantwortlichen vom Fotomuseum Rotterdam, ob ich bereit sei, zusammen mit Frits Gierstberg eine Ausstellung zu gestalten. Dann gab es die Wirtschaftskrise 2008 und das Museum gab sich äußerst skeptisch, ob das Projekt genügend Publikumszuspruch fände. Es schien, als habe sich das Projekt erledigt. Mir half dann aber ein glücklicher Umstand: Ich war gerade mit einem anderen Buch bei NAI Publishers im Gespräch. Eher beiläufig erwähnte ich meine Idee eines Buchkompendiums über Fotobücher gegenüber dem Verlag, der sich sofort interessiert zeigte und einen umfassenden Band produzieren wollte. Das half letztendlich, um auch das Museum wieder ins Boot zu ziehen und das Projekt anzugehen. Jetzt ist das Buch fertig, es ist in kurzer Zeit entstanden, weil noch fehlende Gelder generiert werden mussten. Immerhin ist es 240 Seiten dick und teilt sich in sechs Abschnitte, zu denen Frits Gierstberg und ich Einleitungen geschrieben haben. Jeder einzelne Titel wird kurz vorgestellt, wobei uns einige zusätzliche Spezialisten unterstützt haben. Aber das ist sicherlich kein Nachteil, denn dadurch, dass mehre Autoren beteiligt sind, zeichnet das Buch auch größere Variation in den Interpretationsansätzen aus.
Was sind die Besonderheiten an niederländischen Fotobüchern?
Was ich allgemein vorausschicken möchte, ist, dass wir als Niederländer eine stark ausgebildete Tradition haben, unser Land zu gestalten. Dies gilt für die verschiedensten Bereiche, also auch für das Graphikdesign. Nach dem 2.WK wurden verschiedene Künstlervereinigungen und Verbände gegründet. Es gab eine Organisation namens „Vereniging van Beoefenaars der Gebonden Kunsten“, eine Berufsvereinigung der angewandten Kunst, in der neben Fotografen u.a. Graphikdesigner, Keramiker, Innendesigner vertreten waren. Automatisch begannen einige Fotografen und Graphikdesigner in dieser Gruppe, die in der Form bis 1968 bestand, zu kooperieren. Das Design spielte immer eine überaus wichtige Rolle in der Geschichte der Fotobuchpublikationen.
Allgemein ist festzustellen, dass die Infrastruktur für Ausstellungen damals lange nicht so ausgeprägt war wie heute. Es gab kaum Museen, in denen Fotografie ausgestellt wurde, aber auch weniger große illustrierte Magazine als in Deutschland und Frankreich. Aber Ed van der Elsken oder Johan van der Keuken waren engagierte Fotografen, die Reportagen erstellten und diese veröffentlichen wollten. Diese Fotografen suchten daher nach Alternativen: das Publizieren von Büchern.
Genießen die Designer von Fotobüchern in den Niederlanden also einen ähnlichen Stellenwert wie die Fotografen?
In dem Buch betrachten wir sehr aufmerksam das Design, viel stärker, als dies etwa Parr und Badger getan haben. Wir haben mehr Aufmerksamkeit auf das Foto-Layout gelegt und zeigen ausführlich, wie das Erzählerische formal umgesetzt wird. Am Ende des Buches gibt es daher auch ein gleichberechtigtes Verzeichnis der Designer. Diese werden aber nicht nur im Verzeichnis, sondern auch in den Texten mit ihren Besonderheiten aufgeführt.
Ich glaube schon, dass die Designer eine hohe Wertschätzung in unserem Land erfahren. Viele Fotografen haben von Anfang an große Aufmerksamkeit auf die Wahl des Gestalters gelegt. Ich habe für dieses Projekt, ähnlich wie in dem erwähnten früheren Buch, den Einfluss von Graphikdesignern in den Büchern untersucht. Niederländische Graphikdesigner haben oft starke Konzepte. SYB ist doch ein gutes Beispiel, der bei uns gleich mit mehreren Beispielen vertreten ist. In den Niederlanden wird ein Fotobuch immer als „Teamprodukt“ angesehen. Das hat sich vor allem in der jüngeren Generation durchgesetzt. Wir sind eine Nation, in der das „Poldermodell“ umgesetzt wird. Ein niederländischer Begriff, der die organisierte politische Zusammenarbeit etwa zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und unabhängigen Mitgliedern in einem Gremium beschreibt und in dem es um die Findung eines Konsens geht. Dieser Begriff lässt sich eben auch sehr gut auf den künstlerischen Bereich anwenden, um die Situation zu beschreiben. Ich find es spannend, dass Fotografen wie Rob Hornstra oder Anouk Kruithof sich bewusst für einen Designer entscheiden und diesem ihr Material überlassen. Kummer & Herrman aus Utrecht sind nur ein gutes Beispiel, wie der spezielle Charakter einer Arbeit von Designern in eine sehr eigene Form umgesetzt werden kann.
Welche Designer waren in der Vergangenheit einflussreich?
Ich hab vor langer Zeit einen Artikel zu dem „St. Germain“-Buch von Ed van der Elsken erstellt, in dem ich den enormen Einfluss des Designers Jurriaan Schrofer dargestellt habe. Er war in den 50er Jahren ein überaus innovativer Designer, der das Buch mit einem intelligenten filmischen Layout versah. Das Buch fasziniert durch seinen starken erzählerischen Charakter. Das erste Bild zeigt das Ende der Geschichte und dann kommt eine Rückblende. Die Bilder werden immer wie Filmeinstellungen auf den Seiten präsentiert. Es gibt z.B. Nahaufnahmen, halbnahe Einstellungen etc. Schrofer lieh sich filmische Mittel aus und schuf damit eines der einflussreichsten Bücher überhaupt.
Ein anderer wichtiger Designer ist Dick Elffers, der u.a. mit Cas Oorthuys arbeitete. „Rotterdam. Dynamische Stad“ erschien 1959 und präsentiert ein neues Rotterdam mit seiner selbstbewussten Architektur und modernen Stadtplanung, nachdem das Stadtzentrum im 2. WK vollständig zerstört war. Oorthuys Bilder werden mit einer eigenwilligen Typographie und einem modernen Layout durch Elffers ergänzt und spiegeln so den Boom der Industrie und die vorherrschende Aufbruchsstimmung entsprechend.
Wie viele Titel habt ihr für dieses Projekt ausgewählt und was waren die Kriterien? War es schwierig, die entsprechenden Bücher aufzutreiben?
Das letztendliche Kriterium für die Aufnahme in unsere Auswahl musste immer die Qualität der Fotografie sein und die Art, wie der Inhalt einer Geschichte in dem Buch wiedergegeben wird. Es sollte irgendetwas Spezifisches, etwas Experimentelles, etwas Neues sein, etwas, das ein Buch von der Masse unterschied. Wir haben schließlich sechs Komplexe geschaffen, unter denen wir die Bücher rekrutierten: Landschaft, Jugendkultur, Arbeit und Industrie, Städte, ambitionierte Reisebücher und Reportagen aus anderen Ländern und eine Gruppe, die wir „autonome Fotobücher“ nannten. Hier sind unter anderem Künstlerbücher und Bücher, die sich keiner Kategorie zuführen lassen, zusammengefasst. Das Ganze ist sicherlich kein „Best of“ an niederländischen Fotobüchern, man kann streiten, ob relevante Titel in unserer Auswahl fehlen. Letztendlich sind es 124 Bücher geworden, dabei sind einige Fotografen mit mehreren Büchern vertreten.
Wir konnten auf die Bibliothek des Rotterdamer Fotomuseums zurückgreifen, einige Bücher besaß ich selbst, bei einigen Büchern haben wir Sammler angesprochen. Frits und ich haben viel zusammen gesessen, diskutiert, die Themen herausgearbeitet und die Bücher dann zugeordnet. In einer Rubrik wie Jugendkultur findet man als erstes das bahnbrechende Buch „Wij zijn 17“ von Johan van der Keuken von 1955 und die Rubrik endet mit Judith van IIkens “Mimicry“, das 2010 erschien und von SYB gestalte wurde. Einige der jüngeren Fotografen, die in der Anthologie aufgeführt sind, habe ich bereits als Studenten unterrichtet. Ich hoffe, unsere Auswahl macht auch deutlich, wie diese wiederum von jemandem wie Johan van der Keuken beeinflusst sind, dessen Ideen und Konzepte sie aufgenommen und weiterentwickelt haben.
Wir haben schließlich einige Bücher als Teil von außerordentlichen Verlagsprojekten ausgewählt. z.B. eine Reihe bei Contact, in den 50er Jahren herausgegeben von Cas Oorthuys. Das erste Buch darin hieß „Bonjour Paris“ und gehörte zu einer neuen Reihe von kleinformatigen Reisebüchern. Dort ist vielleicht die Fotografie weniger interessant, aber die Bücher waren gut gestaltet und verkauften sich weltweit sehr erfolgreich. Es gab sie in 5, 6 Sprachen und der Paris-Führer hatte eine Auflage von über 150.000 Stück.
Allgemein ist festzustellen, dass wir uns bei allen vorgestellten Titeln bemüht haben, die Auflagenhöhe zu recherchieren. Das wird am Ende des Katalogbuches in einer ausführlichen Graphik dargestellt. So kann man leicht erkennen, dass Bücher in den 90er Jahren oft noch in einer 1500er Auflage erschienen, während es heute meist nur wenige hundert sind.
Kannst du einige „Highlights“ nennen bzw. Bücher, die starke Strahlkraft ausgeübt haben im Bereich des Fotobuchs?
Das ist schwierig zu beantworten. Ich glaube, aus der Kooperation von SYB mit Rob Hornstra („101 Billionaires“) oder mit Cuny Janssen sind Bücher entstanden, die sehr einflussreich waren bzw. sind. WassinkLundgren sind zu nennen mit „Empty Bottles“ oder „Tokyo Tokyo“, zwei verrückte Fotografen, die ihre Methode als konzeptuelle Dokumentation bezeichnen und ihre Publikation nicht nur als Medium ansehen, das ihre Arbeiten transportiert, sondern die immer wieder ziemlich verblüffende Sachen mit Büchern anstellen. Z.B. haben sie ihr Buch auseinandergenommen und mit den Seiten eine ganze Ausstellung bespielt. Auf jeden Fall sind sie Künstler, die das Potential, das sich in einem Buch verbirgt, entdeckt und überraschend erweitert haben und damit einen ziemlich starken Effekt auf eine nachfolgende junge Generation ausüben.
Jemand, auf den mehr Aufmerksamkeit gelegt werden sollte, ist der bereits erwähnte Cas Oorthuys, der als Fotograf auch oft das Design des Buches selbst machte. Von ihm haben wir mehrere Bücher in der Auswahl, da er sowohl als Fotograf als auch als Designer tätig war. Er kämpfte in den 40er Jahren im Untergrund gegen die Deutschen und war in der Gruppe „De Ondergedoken Camera“ engagiert. Er gilt als einer der wichtigsten Fotografen in den Niederlanden, der u.a. die letzten Kriegsjahre in Amsterdam dokumentiert hat. Mit Dick Elffers und anderen Fotografen von „De Ondergedoken Camera“ (u.a. Emmy Andriesse, Ad Windig, Charles Breijer) gab er 1947 das Buch „Amsterdam tijdens den hongerwinter 1944-45“ heraus, das als ein frühes Beispiel einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen Fotograf und Graphikdesigner gelten kann. Dagegen war er in seinem Buch „Landbouw“, das die Bedingungen des Bauern in den Niederlanden in den 40er Jahren dokumentierte und 1946 erschien, selbst für die Gestaltung zuständig.
Wie sieht eigentlich der niederländische Fotobuchmarkt aus? Wenn man den Katalog durchblättert, findet man eine hohe Dichte an ambitionierten Publikationen. Sind bei euch die Verleger mutiger, wenn es darum geht, Risiken einzugehen? Gibt es mehr finanzielle Unterstützung von der öffentlichen Hand in den Niederlanden?
Derzeit ist die Situation sicherlich schwieriger wegen der wirtschaftlichen Entwicklung als noch vor ein paar Jahren. In der Vergangenheit waren die kulturellen Fördermöglichkeiten zahlreicher, d.h., es bestand auch die Chance, finanzielle Unterstützung für Buchprojekte zu erhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob das mit dem Mut stimmt. Sicher ist, dass gerade in der jungen Generation Künstler und Studenten ihre Themen bearbeiten und diese in Büchern resultieren lassen anstatt ein konventionelles Mappen-Portfolio zu produzieren. Was Verlage und Mut betrifft, ist nur festzustellen, dass einige Verlage Verluste gemacht haben oder ganz verschwunden sind. Viele Fotografen gehen heute, wie auch in Deutschland oder anderswo, den Weg des selbstfinanzierten Publishings, Rob Hornstra ist da nur das bekannteste Beispiel.
Kannst du mal einige wichtige niedeländische Protagonisten im Publikationsbereich von Fotobüchern nennen?
Willem van Zoetendaal ist da natürlich anzuführen. Er ist sehr aktiv als Verleger, Kurator, Lehrer und Galerist und hat von Anfang an Leute wie Koos Breukel ausgestellt, Büchern mit ihnen gemacht, die er selbst gestaltete und oft mit wenig Text ausstattete, die andererseits aber aufwendig produziert wurden ( z. B. das Buch „Hyde“ von 1996, mit Silber- und Goldtinte). Ein anderer wichtiger Protagonist ist Bas Vroege mit seinem Verlag Paradox. Er hat in den 80er und 90er Jahren das Magazin Perspektief aus der Taufe gehoben. In seinem Verlag bringt er spannende Buchobjekte heraus, die er von Anfang an von Webseiten begleiten lässt und in andere Multimediaprojekte einbindet. Wir präsentieren in der Ausstellung als Beispiel ein Buch von Karel van Hees „Play“, bei dem der Fotograf drei Jahre in die Subkultur von Rotterdam eingetaucht ist. Manchmal erinnert dessen fotografischer Gestus an Ed van der Elsken, nur Jahrzehnte später. Dem Buch ist eine CD mit Musik und Geräuschen beigefügt, die das Atmosphärische der Stadt festhält. Das Buch wurde nach seinem Erscheinen von einer Radiosendung und einem Film begleitet. Bas Vroege ist jemand, der das Buch niemals isoliert betrachtet.
Und in diesem Zusammenhang ist auch der Gestalter von „Play“ zu nennen. Erik Kessels ist Art Direktor und Begründer der Agentur KesselsKramer und er hat außerdem einen eigenen Verlag gegründet hat. Er ist ebenfalls in unsere Ausstellung aufgenommen mit seinen Serien „In Almost Every Picture“, sehr gut gemachte Publikationen, die mal witzige, mal melancholische Fotoserien von Amateurfotografen vorstellen.
Was erwartet den Besucher in der Ausstellung? Gebt ihr einen technischen und soziokulturellen Kontext?
Durchaus, auch wenn die Ausstellung mit Geld- und Raumproblemen zu kämpfen hat und wir gerne mehr gemacht hätten. Wir versuchen, den Cross-Over-Gedanken von Fotobüchern aufzunehmen, etwa die Verwandtschaft von Fotobuch und Film. Dazu passt Paris Mortel von Johan van der Keuken, das Ende der 50er Jahre in Paris entsteht. Gleichzeitig hat er einen Film „Paris a l‘aube“ gemacht. Das Buch wird gezeigt, dazu Filmausschnitte, um die Symbiose zwischen Film und Fotografie deutlich zu machen. Einige der Fotos sind kommentiert von dem Dichter Lucebert, der Mitbegründer der Künstlergruppe COBRA war, einer der besten experimentellen Dichter der 50er, 60er Jahre. Diese gegenseitigen Cross-Over-Effekte zwischen Foto und Film, Foto und Literatur möchten wir gerne aufzeigen, vor allem aber die gegenseitige Befruchtung von Graphikdesign und Fotografie. Meines Erachtens nach ist ein Buch schon von Natur aus ein Cross-Over-Projekt, an dem immer mehrere Talente beteiligt sind, vom Textschreiber bis zum Drucker.
In der Ausstellung setzten wir Schwerpunkte. Etwa 10 Bücher werden ausführlich in ihrem zeitlichen, gesellschaftlichen Kontext präsentiert, dazu werden ca. 80 andere Bücher kurz vorgestellt. Man kann zwar nicht blättern in der Ausstellung, aber es ist möglich, die Bücher in der Bibliothek des Museums einzusehen.
Um Langeweile zu vermeiden, zeigen wir anhand einiger Beispiele, wie ein Buch seine Form erhält. In der Ausstellung geht es uns auch um den Prozess des Büchermachens selbst und wir beschäftigen uns mit den Fragen des Layouts und der Bildauswahl. Dazu haben wir einige Dummies und Andrucke in der Ausstellung versammelt. Der Produktionsprozess, wie letztendlich ein Buch entsteht, ist in dieser Ausstellung mehr herausgearbeitet als in anderen Fotobuchausstellungen. Ich denke, es ist spannend für den Besucher, Dummies mit Originalprints zu betrachten, z.B. die Entwürfe von Johan van der Keuken.
Wäre so ein Ausstellungsbuch und –projekt auch in einigen Jahren möglich? Oder wird sich der Fotobuchsektor aufsplittern aufgrund der vielen unterschiedlichen Publikationsmöglichkeiten (Stichwort: Self-publishing) und ein Konsens kaum mehr bestehen?
Das Fotobuch boomt jetzt. Ich hab an der Schule oft Leute, die Bücher machen um jeden Preis, weil sie ein Fotobuch besitzen wollen, nicht aber, weil es der Inhalt hergibt. Ich würde daher vorschlagen, dass Leute manchmal mehr Zeit für ihr Thema aufwenden, bevor sie ein teures Resultat wie das Buch schaffen. Das Buch wird für meinen Geschmack zu häufig eingesetzt an den Kunsthochschulen. Andererseits verschieben sich die Publikationsaktivitäten vermehrt ins Netz, wo Studenten ihre Arbeiten präsentieren. Das finde ich ein interessantes Feld. Es muss nicht immer das Buch als Lösung herhalten. Webdokumente können interessante neue Möglichkeiten bieten. Jungen Fotografen ist damit eine Möglichkeit anhand gegeben, Inhalte völlig anders zu gestalten.
Was ist dein Lieblingsbuch derzeit?
Mein „all time favorite“ habe ich bereits erwähnt. “Paris Mortel”, das ich mit Anfang 20 erworben habe und das ich immer noch liebe. „Sweet life“ von Ed van der Elsken ist unbedingt zu nennen; aus den 90er Jahren „Snelweg/Highways in the Netherlands“ von Theo Baart/Cary Markerink, die mehrere Jahre über die niederländischen Autobahnen gefahren sind und eine Geschichte daraus gemacht haben. Autobahn wird hier als Landschaftserfahrung dargestellt. Ein wirklich schönes Buch mit aufklappbaren Seiten, innovativer Typographie, verschiedenen dargestellten Situationen: Parkplätze, Porträts von Lastwagenfahrern, Autobahnen bei Nacht, Zusammenstöße. Jede Seite erzählt etwas Neues. Das Buch hat zwei Cover und ist ein gutes Beispiel dafür, wie vielfältig die Möglichkeiten der Präsentation zwischen zwei Buchdeckeln sind. Und schließlich noch ein als letztes Beispiel das sehr witzige Buch von Paul Bogaers:“ Upset down“. Auch das kann man von vorn nach hinten und umgekehrt lesen. Eine surrealistisch anmutende Fotografie, es gibt zahllose Assoziationen zwischen den Seiten. Das Ganze ist so phantasievoll wie komisch, wenn Bogaers eigene Fotos mit gefundenen Bildern aus Archiven etc. kombiniert. All diese Bücher sind in unserer Ausstellung neu- oder wiederzuentdecken! (Peter Lindhorst)
Die Ausstellung läuft bis zum 20. Mai im Fotomuseum Rotterdam. Der opulente, überaus informative Band „The Dutch Photobook. A Thematic Selection from 1945 Onwards“ ist bei NAI Publishers, Rotterdam erschienen: ISBN 978-90-5662-846-8, 240 Seiten, geb. € 59,50.
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