Informationen zu Blogbuch
Ergänzend zur Printausgabe der PHOTONEWS starteten wir Ende 2011 einen Blog zum Themenschwerpunkt Fotobuch mit Rezensionen, Interviews und Debatten. PHOTONEWS Blogbuch wird von dem Fotobuch-Experten Peter Lindhorst betreut.
Input Blogbuch
Aktuelles aus dem Blogbuch
Debatten
Interview mit Bruno Ceschel, SPBH
Self Publish Be Happy Project Space im Mai 2015 während der Messe Offprint in der Tate Modern in London
Eine Antwort auf die publizistische Krise?
Vermutlich waren noch nie so viele Fotobücher im Umlauf wie heute. Zumindest für diesen Bereich der gedruckten Fotografie kann also keinesfalls mehr von einer Krise, sondern eher von einer neuen Aufbruchsstimmung gesprochen werden. Teil der damit verbundenen, neuen Fotobuch-Euphorie sind Projekte, die sich dem Sammeln, Bewahren und Zeigen unterschiedlichster Formen von Fotobüchern verschrieben haben. Eines der bekanntesten Projekte ist Self Publish Be Happy aus London. Mit dem Gründer des Projekts, Bruno Ceschel, sprach Felix Koltermann auf den EMOP Opening Days im Oktober 2016 in Berlin.
Felix Koltermann: Bruno, da wir hier auf einem Fotobuch-Event sind, starten wir mit einer einfachen Frage: Was macht für Dich ein Fotobuch aus?
Bruno Ceschel: Für mich ist es ein Buch mit Fotografien. Dabei ist die Beantwortung der Frage eine interessante Herausforderung, mit der ich mich jedoch nie beschäftige. Dies ist eher für Leute relevant, die Kriterien brauchen, weil sie eine Sammlung aufbauen oder das Thema aus einer historischen Perspektive betrachten. Aber wenn wir uns dem Zeitgenössischen zuwenden, sind die Dinge sehr durchlässig, so dass ich gut damit leben kann, darauf keine Antwort zu haben.
Bruno Ceschel
Heute finden wir Fotobücher in verschiedenen Formaten und aus unterschiedlichen Quellen. Es gibt sowohl die klassischen Fotobuchverlage als auch neue unabhängige Verlage und die Self-Publisher. Du konzentrierst Dich auf Letztere. Was macht das Self-Publishing für Dich so interessant?
Insbesondere die letzte Welle von Self-Published-Fotobüchern kommt von einer Fotografengeneration, die sich bewusst dafür entschieden hat, das Publizieren in die eigenen Hände zu nehmen. Das war eine Antwort auf verschiedene Entwicklungen wie die Krise der Verlagswelt oder die Verfügbarkeit über neue Technologien. Dies bot einen fruchtbaren Boden, der Menschen dazu anstachelte, auf eigene Faust zu publizieren. Es wurde viel experimentiert und Bücher wurden veröffentlicht, die vorher aufgrund der Limitationen des Marktes nicht existierten. Seitdem ist nichts mehr wie es war. Als Aperture und Paris Photo dieses Jahr die Liste mit den nominierten Fotobüchern vorstellten, war darunter ein Mix aus Eigenveröffentlichungen sowie Büchern von Mainstream- und Independent-Verlagen. Heute existiert all das nebeneinander.
Wenn wir auf das zeitgenössische Fotobuch schauen, würdest Du da zustimmen, dass man ausgehend vom Buch an sich nicht mehr unterscheiden kann, ob es Self-Published ist oder von einem Verlag stammt?
Ja, das ist echt schwer. Wenn man einen Büchertisch vor sich hat oder durch ein Buchregal geht, ist es kaum möglich zu unterscheiden, was was ist.
Lass uns auf Dein Projekt Self Publish Be Happy (SPBH) zu sprechen kommen, das Du 2010 gegründet hast. Was war der Grund, das Projekt zu starten?
Ich hatte zu der Zeit das Gefühl, dass es sehr viel spannendes Material gibt, das ungesehen bleibt. Das Projekt entstand aus der Notwendigkeit heraus, eine zentrale Plattform für das Medium zu schaffen. Auf eine gewisse Art und Weise wollten wir den Self-Publishers ein Unterstützernetzwerk anbieten, wo jeder jedem helfen kann. Gleichzeitig wollten wir eine Plattform für die Öffentlichkeit schaffen, auf der diese sich systematisch mit dem Material beschäftigen kann, sei es über die Webseite oder die reisende Bibliothek.
Mir gefällt, dass ein Ziel die Unterstützung der Self-Pulishing Szene war. Kannst Du etwas ausführen, auf welche Art und Weise Ihr die Self-Publisher unterstützt?
Das ist ganz einfach. Die Leute senden uns die Bücher, die sie publiziert haben, und wir wählen in einem Redaktionstreffen diejenigen aus, von denen wir glauben, dass Sie in die Sammlung passen. Dann katalogisieren wir sie, was bedeutet sie zu fotografieren und Informationen zum Buch zu sammeln, um dies dann online zu stellen. Die Leute, die unsere Datenbank nutzen, können dann direkt mit den Self-Publishern in Kontakt treten, um ein Exemplar zu erwerben. Aber auch andere Fotografen oder Self-Publisher können die Webseite als Informationsplattform nutzen um herauszufinden, wie andere ihre Bücher veröffentlichen, wo sie drucken, etc.
Ausgehend von der Sammlung haben sich dann andere Formate entwickelt. Wir haben Live-Events organisiert, wo wir Self-Publisher und Fotografen gebeten haben, über das Büchermachen in einen Austausch mit dem Publikum zu treten. Darüber hinaus veröffentlichen wir auch selbst. Fast von Anfang an hatten wir die SPBH Edition, die als unser eigener Verlag funktioniert. Meist kommen die Künstler, deren Bücher wir verlegen, aus der gleichen Community.
Ich finde die Erwähnung Eures Verlags sehr spannend. Ich frage mich jedoch, ob dies nicht auch eine Art Widerspruch ist, auf der einen Seite eine Plattform für Self-Publisher zu bieten und auf der anderen Seite ein eigenes Verlagsprogramm zu fahren.
Aus der SPBH Sammlung, „Fire In Cairo“ von Matthew Connors
Nein, ich glaube nicht. Es ist doch keine Religion! Die Dinge koexistieren. Und ich mag Fotografen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihr eigenes Buch verlegen, dann ein Projekt mit einem Verlag realisieren und dann wieder zurück zum Self-Publishing gehen. Dafür gibt es eine Reihe toller Beispiele, von Alec Soth zu vielen anderen. Auch Lukas Blalock ist einer von ihnen. Ich habe zwei seiner Bücher verlegt, aber er hat auch Bücher mit anderen Verlagen sowie im Eigenverlag produziert. Die sind alle sehr verschieden. Mit mir entstehen Projekte, die mehr in Richtung Künstlerbuch gehen, während seine eher überblicksartigen Publikationen von Mörel Books verlegt wurde.
Grundsätzlich geht es für mich beim Büchermachen nicht nur darum, wie das Objekt entsteht und Inhalt und Form aussehen, sondern auch darum, wie es distribuiert wird. Mein letztes Buch, das „DIY Photobook Manifesto“, habe ich z.B. zusammen mit Aperture produziert, einem der großen Mainstream-Verlage. Der Grund war, dass ich Aperture brauchte, um das Buch machen zu können, das ich wollte und dies bei einem Verkaufspreis von 20 Euro in Buchhandlungen überall auf der Welt zugänglich zu machen. Das hätte ich ohne den Verlag nicht geschafft.
Du hast SPBH ins Leben gerufen, als die sozialen Medien bereits weit verbreitet waren. Heute habt Ihr 14.000 Follower auf Twitter, 45.000 Likes auf Eurer Facebookseite und 48.000 Follower auf Instagram. Wäre der Erfolg von SPBH ohne die sozialen Medien vorstellbar?
Nein, auf gar keinen Fall. Vor nur 10 oder 15 Jahren wäre ein physischer Ort, wo die Leute hinkommen können, unerlässlich gewesen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Ein Ort ist ein riesiger Kostenfaktor, insbesondere wenn es um große Städte wie London geht, wo wir angesiedelt sind. Wenn wir uns andere Projekte aus der Vergangenheit anschauen, so waren dafür Ausstellungsorte oder Projektflächen notwendig, wo die Leute sich treffen konnten. Heute organisieren sich die Leute rund um Tumblr, Instagram, eine Webseite, einen Blog oder was auch immer da in der Zukunft kommen wird.
Ist die Bedeutung der sozialen Medien auch der Grund, warum Ihr Künstler eingeladen habt, Euren Instagram Account unter #spbhtakeovers zu bespielen, um neue Wege zu finden, wie man mit diesen Medien umgehen kann?
Aus der SPBH Sammlung, „The Epic Love Story Of A Warrior“ von Peter Puklus
Das ist daraus entstanden, dass wir auf unserem Blog ein Feature hatten, auf dem wir jeden Tag einen anderen Künstler vorgestellt haben. Das war ein sehr wichtiger Teil unserer Aktivitäten. Viele der Fotografen, die wir über die letzten Jahre zu Beginn ihrer Karriere vorgestellt haben, sind heute sehr erfolgreich. Aber da sich das Internet wandelt und die Menschen statt auf Blogs zu gehen, Inhalte über ihren Facebook-Newsfeed abrufen, hatten wir das Gefühl, dass ein Blog nicht mehr zeitgemäß ist. Also haben wir das Format zu Instagram überführt. Statt einem Post mit zehn Bildern haben wir nun jemanden, der unseren Account für eine Woche bespielt und in dieser Zeit dort seine Arbeiten zeigt.
Wir versuchen immer, mit der Zeit zu gehen und hoffentlich Entwicklungen auch vorwegzunehmen. Ich denke, dies hat damit zu tun, dass viele junge Leute Teil von SPBH sind und sie – noch viel mehr als ich – sehr sensibel auf Veränderungen reagieren. Auf der anderen Seite ist es furchtbar anstrengend, wie schnell die Dinge sich verändern. Ich finde das sehr ermüdend. Da ist etwas noch nicht richtig etabliert und schon kommt etwas Anderes, um es zu ersetzen. Die Geschwindigkeit ist einfach überwältigend. Aber ich vermute, dagegen lässt sich nichts machen.
Ich kann mir vorstellen, dass es sehr ermüdend ist, jedes Mal kreative Energie in ein neues Format zu pumpen. Gleichzeitig ist Euer Vorteil, dass Euer Team aus „Digital Natives“ besteht und Ihr damit diese Kompetenz nicht einkaufen müsst, wie es bei vielen traditionellen Verlagen der Fall ist.
Ja, das stimmt. Dazu kommt noch, dass wir eine kleine Organisation sind. Für uns sind Veränderungen damit einfacher zu stemmen als für große Verlage. Und persönlich war ich immer an anderen Medien und Formaten interessiert, auch wenn ich hauptsächlich mit der Fotografie arbeite. Wenn ich beispielsweise eine Entwicklung in der Modebranche sehe, die mir gefällt, so überlege ich, wie ich dies in die Arbeit von SPBH übersetzen kann. Großen Institutionen fällt das viel schwerer, weil sie sehr viel stärker in einem Medium verankert sind.
Ich würde gerne nochmal zurück zur Bedeutung eines physischen Ortes kommen. Eure Sammlung besteht aus mehr als 3.000 Büchern. Würdest Du diese nicht gerne der Öffentlichkeit zugänglich machen, da der Zugang zum Buch ja vor allem über den physischen Kontakt erfolgt?
Für uns ist es ökonomisch gesehen unmöglich, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Moment sind wir jedoch in Verhandlungen mit verschiedenen Institutionen, die Interesse haben, die Sammlung zu kaufen. Aber ich weiß nicht, wie schnell dieser Wandel kommt. Dies hat auch damit zu tun, dass ich mich für die Sammlung verantwortlich fühle. Da sind all die Menschen, die uns ihre Bücher geschickt haben, und ich finde, dass diese Bücher für die Nachwelt erhalten werden müssen.
Und auch wenn es einige Institutionen gibt, die Interesse zeigen, so brauchen auch diese Geld, um die Sammlung zu erhalten. Es ist nicht damit getan, ihnen die Bücherkisten zu schicken. Ein anderer, sehr wichtiger Aspekt ist für mich, dass die Sammlung als Ganzes erhalten bleibt und nicht zerfleddert wird. Ich denke, dass Sie einen ganz spezifischen Moment repräsentiert und dadurch einen historischen Wert hat. Es gibt also einige Bedingungen, die erfüllt sein müssen, bevor ich die Sammlung an eine Institution übergeben kann.
Nimmst Du denn Bücher aus der Sammlung mit, wenn Du auf Reisen bist und Workshops gibst oder Ausstellungen organisierst?
Früher habe ich das viel gemacht. Zu Beginn bestand SPBH aus mir, der mit einem Koffer voller Bücher rumzog. Jetzt bin ich vorsichtiger, da viele Bücher eher fragile Zines sind und wir meist nur ein Exemplar eines Buches haben. Damit können wir sie eigentlich nicht öffentlich zeigen. Wenn jedoch Studierende zu mir ins Studio kommen und wir uns dem Material widmen, zeige ich Exemplare, da ich dort das Setting kontrollieren kann. Aber sobald man ein Buch in einer Ausstellung auslegt, war es das für das Objekt, es wird das nicht überleben.
SPBH-TV mit „The Honeymoon Suite“ von Juno Calypso
Lass uns zu den neuen Formaten kommen, die SPBH eingeführt hat. Vor kurzem habt Ihr z.B. ein Buch vorgestellt, das mit Augmented Reality experimentiert. Und auf Eurer Webseite gibt es das SPBH-TV, wo Videokunst gezeigt wird. Dies sind zwei Beispiele, die weit über das Thema Fotobuch hinausgehen. Wie es dazu gekommen?
Das hat mit der Community zu tun, in der wir arbeiten. Die gleichen Leute, die im Eigenverlag Bücher publizieren und zu uns schicken, sind an Videokunst, Installation oder Skulptur interessiert. Meiner Ansicht nach ist es Teil eines natürlichen Wachstums, auch in diese Richtungen zu schauen und dies miteinzubeziehen. Vor allem zeitgenössische Fotografen sind sehr vielseitig. Fotografie ist längst nicht mehr diese Art Ghetto, sie existiert in einer breiten Landschaft verschiedener Medien.
Die Öffnung in Richtung Augmented Reality hat damit zu tun, dass ich sehr an neuen Technologien interessiert bin. Seit einiger Zeit organisiere ich die Live Events bei Tate Modern, während Offprint, und im zweiten Jahr habe ich entschieden, bei Lukas Blalock eine Installation in Auftrag zu geben. Ich habe ihn mit der Digital-Agentur Reify in New York zusammengebracht, die sich mit Augmented Reality beschäftigen. Sie haben zusammen überlegt, wie man Fotografien über das Nutzen einer App aktivieren kann.
Dazu kommt, dass ich mein Interesse am Fotobuch sehr stark in der Tradition des Künstlerbuchs sehe. Und Teil der Geschichte des Künstlerbuchs ist es, das Medium herauszufordern. Viele Künstler überdenken das Objekt und ich habe immer sehr gemocht, wie demokratisch, offen und spielerisch das Künstlerbuch ist. Man kann alle möglichen Sachen damit machen. Augmented Reality ist nur eine weitere Fortführung dieser Beziehung.
„Making Memeries“, Installation von Lucas Blalock in London, 2016
Bedeutet dies, dass Du Augmented Reality als beispielhaft für das ansiehst, wohin sich das Fotobuch im digitalen Zeitalter entwickeln kann? Wo siehst Du grundsätzlich das Potential des Self-Publishing im digitalen Zeitalter?
Ich denke, das Buch geht nirgendwohin. Selbst innerhalb der aktuellen Trends in der Verlagswelt gibt es eine Rückbesinnung auf das Buch. Damit meine ich vor allem Romane und Erzählungen. Für mich gibt es absolut keinen Ersatz für das Buch. Ernsthaft! Klar, ich lese meine Nachrichten auf dem Smartphone, aber ich denke nicht mal darüber nach, einen Roman in digitaler Form zu lesen. Und ich glaube nicht, dass es eine Frage des Alters ist. Es ist etwas Natürliches, wie wir Vergnügen aus bestimmten Aktivitäten schöpfen. Dinge, die sich rund um das Buch entwickeln wie die Augmented Reality oder andere digitale Tools sind da, um das Buch zu unterstützen und vielleicht Teile davon zu verändern, aber nicht, um es zu ersetzen. Dies gilt, solange nicht etwas völlig Neues kommt, das eine erfolgreiche Alternative darstellen kann. In dem Fall sollten wir das einfach akzeptieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ein Großteil der Sammlung von „Self Publish Be Happy“ ist über die Webseite des Projekts zugänglich. Darüber hinaus ist SPBH auch auf so gut wie allen gängigen Social Media Plattformen präsent. Das im Gespräch erwähnte Buch von Bruno Ceschel „A DIY Photobook Manifesto“ ist bei Aperture erschienen (ISBN 978-1-59711-344-1, 512 Seiten).
„DIY Photobook Manifesto“ von SPBH
Das Interview erschien PHOTONEWS 12/2016-1/2017.
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