Informationen zu Aktuell
Hier finden Sie Hinweise zu aktuellen Veranstaltungen, die uns nach Redaktionsschluss erreicht haben sowie Ergänzungen (Nachschlag) zur jeweils aktuellen PHOTONEWS Ausgabe.
Nachschlag
Nach Redaktionsschluss
Wer bestimmt die Kunst? Zwischenruf von Reinhard Matz (aktualisiert)
Der Fotograf und Autor Reinhard Matz informierte uns über eine geplante Ausstellungsbeteiligung in einem Museum, die schließlich daran scheiterte, dass seine Prints aus den 1970er-Jahren nicht gewünscht waren und stattdessen kleinere Neuabzüge gefordert wurden, die in eine einheitliche Rahmengröße der Ausstellung passen sollten. Wir haben uns dagegen entschieden, den konkreten Fall hier zu schildern, geben aber gerne Reinhard Matz’ Stellungnahme nachfolgend wieder, um eine Debatte zu dem Thema anzuregen.
Dieser persönliche Konflikt führt mir eine Tendenz vor Augen, die einer einfachen ökonomischen Gegebenheit folgt: Fotografen und Künstler gibt es viele, ausstellen wollen sie alle. Bestellte Kuratoren, die über Ausstellungsflächen verfügen, gibt es sehr viel weniger. Aus diesem Verhältnis wächst den ›Ausstellungsflächenverfügern‹ Macht zu, die zweifellos ihr Ego stärkt, und sie in die Rolle bringt, ihren Einflussbereich auszuweiten. Der Aberwitz, dass aufgrund technologischen Fortschritts Neuherstellungen für vorhandene Rahmen billiger sein können als Transport, Leihgebühren und Rahmung nach Maß, wirkt in dem Zusammenhang unterstützend. Der Aufmerksamkeitszuspruch (vulgo: Künstler- und Bildauswahl) ist ohnehin das Ding der Ausstellungsmacher, auch wenn Galeristen, Agenten, Sammler und Künstlerselbstvermarktung durch massive Lobbyarbeit ungehörigen Markteinfluss nehmen. Über die Form, die Abfolge und Weite der Hängung lässt sich zwischen Ausstellern und Ausgestellten bereits munter streiten, schließlich haben Künstler recht genaue Vorstellungen, wie ihre Arbeit optimal zu präsentieren ist. Heute legen Kuratoren oder ihre verfügbaren Rahmen sogar bereits Bildgrößen fest, morgen bestimmen sie womöglich Ausschnitt, Gradation und Tonalität … Schließlich sind sie nunmehr Auftraggeber. Wer zahlt, erwirbt Rechte. Darüber berichtet auch Wolfgang Ullrich in der ZEIT vom 30. Juli 2015: skurrile Missverhältnisse zwischen Sammlern und Kuratoren einerseits und Künstlern andererseits, die aus dem sich offenbar ausweitenden Bereich der Auftragskunst erwachsen.
Es mag ja konventionell klingen, daran zu erinnern, dass der Beruf des Kurators sich nicht umsonst von curare = pflegen, sorgen, heilen herleitet. Aber die neuen Kuratoren sehen sich selbst als Produzenten. So bestimmt zunehmend die ausdrücklich angenommene Rolle als Designer nicht nur die Ausstellungen, sondern auch gleich die ausgestellte Kunst – und sei es nur in der Formatangleichung, damit am Ende alle Bilder hübsch gleichgroß an der Wand hängen. Dass eine derartige formale Entindividualisierung ein zeitgemäßes Ausstellungsprinzip ist, wage ich im Übrigen zu bezweifeln.
Die neuen Kuratoren drängen offenbar in die Regie (= regieren, lenken, herrschen), sie lassen mich an das deutsche Regietheater denken. Da ist der Text nur Anlass für eigene Geschichten, wird auf Kernsätze zusammengestrichen oder vielleicht sogar durch Fremdtexte ergänzt. Der Unterschied ist allerdings, dass ein Theaterstück tatsächlich ein Rohprodukt ist, das auf der Bühne erst noch zu realisieren ist, während Bilder ein zu Ende gedachtes, fertiges Produkt sind.
Natürlich weiß ich, dass selbst die bekanntesten Fotografen, mit dem Format ihrer Bilder spielen und spielten. Für Ausstellungen werden denkwürdige Kompromisse eingegangen. Um im weltweiten Konzert der Bilder Wirkung zu erzielen, werden ursprüngliche Kontexte vergessen gemacht. Am Ende der Zumutungen gibt es Agenturen, die Fotos in der richtigen Größe und Farbe zur Inneneinrichtung des Büros oder der Wohnung vermitteln. Mir ist auch durchaus bekannt, dass der Begriff Autor sich nicht von auto (= selbst, selbstbestimmt) herleitet, dass Päpste, Fürsten wie auch andere Mäzene vielfach unter der Hand die von ihnen beauftragte Kunst mitbestimmten. – Von einem Museum erwarte ich respektvollere Behandlungsweisen.
Ich plädiere für eine strikte Trennung zwischen Produktion, Ausstellung und Rezeption von Kunst und Fotografien, jede Seite mit der ihr zustehenden Kraft. Mir kam es jedenfalls wie eine Amputation vor, meine unterschiedlich angelegten Bilder in die gleiche Größe bringen zu sollen. Abgesehen davon, dass ein 3:4-Bildformat in einem 4:5-Rahmen ja wohl nur nach Notlösung aussehen kann. Wer also bestimmt die Kunst?
Reinhard Matz
Der Text wurde parallel in der PHOTONEWS-Ausgabe 11/2015 veröffentlicht. Eine Zweitveröffentlichung erschien hier Ende Oktober online, um Kommentare zu ermöglichen. Wie ist Ihre Haltung zu diesem Thema? Wer bestimmt die Kunst?
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