Informationen zu Aktuell
Hier finden Sie Hinweise zu aktuellen Veranstaltungen, die uns nach Redaktionsschluss erreicht haben sowie Ergänzungen (Nachschlag) zur jeweils aktuellen PHOTONEWS Ausgabe.
Nachschlag
Nach Redaktionsschluss
Verhinderte Potenziale
Von Daniel Blochwitz
(ergänzend am Ende des Dokuments Forum für Kommentare)
Privileg wird bestimmten Menschen schon in die Wiege gelegt und begleitet sie dann wohlwollend meist ein Leben lang. Privilegien reproduzieren sich durch Traditionen, Bildung und Netzwerke. Privilegiert darf sich nennen, wer ungehindert aus dem Vollen schöpfen kann, wer frei agieren kann, ohne das ein mögliches Scheitern sofort existenziell bedrohliche Züge annimmt. Es ist ein Privileg, wenn einem Hürden aus dem Weg geräumt werden, statt diese noch erhöht oder vermehrt zu bekommen, wenn also die Risiken neuer Ideen, Unternehmungen oder Herausforderungen minimiert werden und nicht schier unüberwindbar strukturiert sind.
Folgerichtig, wenngleich etwas überspitzt formuliert, bedeutet Privileg, wenn einem etwas Positives geschieht, wofür man nicht mehr als Andere gearbeitet oder worum man sich nicht gezielt bemüht hat. Die Dinge passieren Privilegierten oft fast mühelos, quasi nach Belieben; und die Häufigkeit solch sogenannter glücklicher Fügungen ist aus statistischer Sicht für Privilegierte unwahrscheinlich hoch. Meist kennen Privilegierte das Geheimnis ihres Erfolges ganz genau, wissen von der relativen Unverhältnismäßigkeit zwischen ihren eigenen Anstrengungen und den verliehenen Lorbeeren. Sie sind Selbstvermarktungsmaschinen voller Automatismen. Wer mag sich und der Welt jedoch schon gerne eingestehen, dass das so schön polierte Image auf keinen exzeptionellen Glanzleistungen beruht?
Wer, andererseits, aus unterprivilegierten Verhältnissen kommt, weiß in der Regel von der unbedingten Notwendigkeit zu berichten, immer auffallend besser sein zu müssen, nur um eine gleiche Chance zu erhalten. Schlauer, schicker, eloquenter, erfahrener, charismatischer. Und trotzdem meist das Nachsehen, weil einem das Muss aus jeder Pore dringt. Overdressed oder overqualified ist bei Privilegierten kein Problem. Doch Understatement muss man sich eben leisten können. In den Auseinandersetzungen um Chancengleichheit wurde in der vergangenen Zeit viel vom Privileg bestimmter Bevölkerungsteile gesprochen und dabei leicht provokant aber nicht zu unrecht auf alte weiße Männer reduziert. Erstaunlich abwesend von diesen Diskussionen um binäre Identitätsmerkmale waren jedoch bisher in Deutschland die nicht weniger verstetigten Privilegien von Klasse[1] und Herkunft.
Wenn man sich nun in der Kunstwelt beeilt, dem Zeitgeist Ausstellungen und Programme zu liefern, die größere Vielfalt versprechen, so beschränken sich diese leider zu oft auf Lippenbekenntnisse. Die hastigen Korrekturen übersättigen den Moment, was nicht selten zynisch wirkt und in jedem Fall kontraproduktiv ist, weil sich langfristig nichts an den strukturellen Benachteiligungen ändert. Genuine Veränderungen sehen anders aus. Buchstäblich. Und so scheißt der Teufel noch immer auf den größten Haufen - ja, auch in der deutschen Fotoszene.
Umgeben von dieser halbherzigen Sensibilisierung im Kunst- und Fotografiebetrieb steht da noch ein Elefant bisher nichteingestandener Privilegierung im Raum. Wer sich jedoch traut, die Präsenz dieses dünnhäutigen Dickhäuters anzusprechen, erntet meist genervtes Augenrollen in den heiligen Hallen der Kunst. Es handelt sich hierbei nämlich um die unverhältnismäßige Überrepräsentanz Westdeutscher in den allermeisten fotografiegeprägten und -prägenden Tätigkeitsbereichen in Deutschland. Auch nach über 30 Jahren hat insbesondere die seit der Wende ausgebildete und berufstätig-gewordene Generation ostdeutscher[2] Fotoexpert/innen statistisch gesehen kaum eine Chance, an vorderer Front mitzugestalten, wie die deutsche Fotografie historisch eingeordnet wird, welche zeitgenössischen Positionen und Diskurse verhandelt werden und wohin sich das Medium hierzulande in Zukunft entwickeln wird.
An dieser Stelle möchte ich eine klärende Zwischenbemerkung einschieben, um dem Vorwurf des Jammerossis vorwegzugreifen: Denn der nachfolgende Text wurde nicht als eine beleidigte Replik eines “zu kurz gekommenen” Ostdeutschen verfasst, sondern versteht sich als kritische Wortmeldung zu einem bisher “zu kurz gekommenen” Thema. Der in der DDR geborene, in den USA ausgebildete und in der Schweiz lebende Autor fordert von niemandem einen Platz am Tisch ein, sondern bringt sozusagen einen eigenen Stuhl mit, wie es eine befreundete Kollegin kürzlich ausdrückte. Also keine Angst, es geht mir nicht um eine berufliche Reise nach Jerusalem, sondern um die Sache und damit um das, was auch die Wiedervereinigung eigentlich hätte sein sollen: ein konstruktives Mehr an Stimmen, Erfahrungen und Ideen zugunsten aller.
Aber weiter im Text.
Jörg Colberg schrieb in einem Beitrag über den Westberliner Fotografen Michael Schmidt, für mich eher überraschend, “Der Unterschied zwischen ost- und westdeutscher Fotografie läuft natürlich nicht auf gut oder schlecht hinaus. Vielmehr ist es eine Frage der Anerkennung. Weite Teile der Geschichtsschreibung des Mediums muss noch stark überarbeitet werden, um ostdeutschen Künstler/innen die ihnen gebührende Beachtung zu geben: Eine künftige Geschichte der deutschen Fotografie darf nicht dem Beispiel der ‘Wiedervereinigung’ folgen, die in Wirklichkeit und in der Form eine Eingliederung Ostdeutschlands in die westdeutsche Bundesstruktur war, mit, wenn überhaupt, sehr wenigen Anpassungen auf westlicher Seite (die Folgen dieser Tatsache werden Deutschland wohl noch lange begleiten)”[3].
Oft kamen nach der Wende die entscheidenden Impulse für eine positivere Rezeption ostdeutscher Fotografie und ihrer Geschichte von aussen - also eher von Kurator/innen und Kunstwissenschaftler/innen aus den USA, Frankreich oder Polen. Erst dann schienen auch westdeutsche Verwerter aufmerksam zu werden und zeigten sich erstaunt über das Niveau der Fotografie ihrer “Brüder und Schwestern” im Osten. Dabei gab es ja auch im eigenen Land durchaus kundige Expert/innen, die man schon früh und nicht nur punktuell zu Mauerfall-Jahrestagen hätte zu Rate ziehen können.
Darin äussert sich denn auch der andere Aspekt einer fehlenden Anerkennung. So betrifft es ja nicht nur Künstler/innen mit Ost-Vita, sondern auch und insbesondere all die anderen, wissenschaftlich, akademisch oder kuratorisch in der Fotografie tätigen mit einer solchen. Hier gibt es eine stark unterschätzte und sträflich unangetastete Expertise zur Fotografie und Bildkompetenz. Die ostdeutsche Geisteswissenschaftlerin Katrin Frisch notierte kürzlich in einem sehr lesenswerten englischsprachigen Beitrag über die fehlenden Zugangschancen für ostdeutsche Akademiker/innen, dass gerade mal 1.5% aller höheren akademischen Stellen in Deutschland mit Ostdeutschen besetzt sind und es auch darunter nicht viel besser aussieht.
Frisch resümiert dann weiter, dass “viele [Westdeutsche] es bevorzugten, oder so erscheint es, Ostdeutsche als Forschungsobjekte zu betrachten, nicht aber als akademische Kolleg/innen”[4], was übertragen auf die Kunstwelt bedeutet, dass ostdeutsche Künstler/innen als andere Positionen für Ausstellungs-, Forschungs- und Sammlungszwecke durchaus von verwertbarem Interesse sind, selten aber als gleichberechtigte Gesprächspartner/innen und schon gar nicht als selbstbestimmte und selbstbestimmende Ausstellungsmacher/innen oder Kunstgeschichts-schreiber/innen. Dabei wäre es doch sehr spannend, einen genuinen Blickwechsel auf Augenhöhe zu haben, oder gar endlich auch mal westdeutsche Fotografie aus der kritischen Distanz einer östlichen Perspektive zu betrachten.
Woher rührt jedoch bis heute die Annahme, daß man an der Elbe von Bildungs- und Kulturangeboten mit rheinländischer Provenienz lernen kann, aber andersherum nicht? Warum fehlt das ehrliche Interesse oder zumindest der Wille an einer Auseinandersetzung mit Fragen und Inhalten, die von ostdeutscher Seite in den Raum gestellt werden? Glaubt man tatsächlich schon alle Flüsse zu kennen, nur weil man am Rhein sitzt? Das klingt doch reichlich provinziell …
Klar, durch diesen einseitigen Kulturtransfer “sollten die Ostdeutschen die Kunst des ‘freien Westens’ kennenlernen und über sie demokratische Werte und Bildung vermittelt bekommen”, vermerkt der Hamburger Kunsthistoriker Carsten Probst im Deutschlandfunk durchaus kritisch dazu.[5] Das sich hier die Logik und das Denken des Kalten Krieges spiegeln, scheint aber auch ihm nur bedingt aufzufallen. Kunst wurde ja auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs instrumentalisiert. Das dürfte niemandem wirklich neu sein. Allein die Frage, ob man im Kunstschaffen freier ist, wenn man für den Markt statt für den Staat produziert, wäre es wert ideologiefrei zu diskutieren. Interessanterweise haben ja die erfolgreichsten—will heißen staats- und markthörigsten—Künstler (selten Künstlerinnen) auf beiden Seiten immer vergleichsweise feudal gelebt.
Wende und Wiedervereinigung hätten also durch einen offenen und gegenseitigen Wissens- und Erfahrungsaustausch tatsächlich ein neues Kapitel in der gesamtdeutschen Kunst aufschlagen können. Erweiterte Horizonte rundum. Stattdessen beharrte man am Rhein auf dem Standpunkt der ach so “freien Kunst” im Westen - und unterschlägt dabei gerne, daß es gerade auch Künstler/innen und Wissenschaftler/innen waren, die sich ebendiese Freiheiten an vorderster Front im Osten erstritten hatten. Der Anspruch, Ostdeutsche von den Vorzügen freier Kunst- und Wissensproduktion überzeugen zu müssen, scheint mir daher doch etwas vermessen. Sie waren ja schon lange da. Und in gewisser Weise warten sie dort bis heute.
Ja, die Lage an deutschen Kunstinstitutionen und -fakultäten ist für qualifizierte Ostdeutsche katastrophal: egal ob an Rhein oder Elbe, es sind zumeist Leute mit Westbiografien, die an den langen Hebeln agieren dürfen. Ausnahmen bestätigen und verschärfen da leider oft die Regel. Weil es bisher aber leider kaum belegte Zahlen gibt, die über die vielen anekdotischen Erfahrungsberichte hinaus etwas stichhaltiges zur Benachteiligung Ostdeutscher im deutschen Kunstbetrieb sowie in der Kunst- und Wissensproduktion Made in East Germany liefern können, beschloss ich während des Schreibens dieses Textes kurzerhand, meine eigene Recherche anhand öffentlich zugänglicher Informationen zu wagen — eine sehr aufwendige und kleinteilige Puzzlearbeit.[6] Auch wenn ich dabei erst am Anfang meiner Datensammlung stehe, so habe ich doch mittlerweile schon eine recht aussagekräftige und repräsentative Stichprobe zusammengetragen. Und das Ergebnis überraschte mich doch etwas, wenn auch nicht in dem Punkt, um den es in diesem Text hauptsächlich geht.
Was Stefan Gronert im Sprengel-FOTO-Blog nämlich mit gespieltem Erstaunen in Sachen Geschlechterverhältnis an deutschen Museen vermerkte, lässt sich anhand meiner Recherchen auch mit Zahlen belegen: “… ein Wandel vollzieht sich!”[7] Frauen haben hier nicht nur aufgeholt, sondern ihre männlichen Kollegen zahlenmässig scheinbar sogar überholt. So sind laut meiner Zählung 54.5% der Führungspositionen an deutschen Kunstmuseen mittlerweile mit Frauen besetzt, 45.5% mit Männern. Der vormals berechtigte Vorwurf an den Kunstbetrieb, eine männlich dominierte Domäne zu sein, lässt sich zumindest statistisch gesehen nur noch schwer aufrechterhalten.
Allerdings tauchen in einer Statistik natürlich subjektive Aspekte, wie Führungsstil, Arbeitsklima und -teilung, Leitungs- und Förderkultur oder auch Work-Life-Balance, ja, bis hin zur verwendeten Sprache, zu vermittelten Werten oder der Art und Weise der inhaltlichen Arbeit, nicht auf. Das ist wichtig, im Auge zu behalten. Bewusste Nachbesserungen an diesen Stellen könnten die Kunstwelt nachhaltig für neue, vielfältigere, andere oder gar unorthodoxe Einflüssen, Ideen und Perspektiven öffnen. Da besteht tatsächlich noch großer Reform- und Entwicklungsbedarf, denn genau hier manifestiert sich oft noch ein tendenziell patriarchalischer, tradierter, voreingenommener und selbstverliebter Kunstbetrieb.
Wenn wir nun also peu à peu alte weiße Männer aus dem Westen gegen zumeist junge weiße Frauen aus dem Westen auswechseln, dann ist das natürlich erstmal erfreulich. Denn es bedeutet ja: Wo ein Wille ist, ist also auch ein Weg! Aber es ist eben nur der halbe Weg. It mainly serves the optics. Es bricht aber noch lange keine kulturelle Hegemonie an deutschen Museen.
So, nein, Herr Gronert, die kommenden Kuratorinnen allein sprengen noch keine Schranken. Die strukturellen Zugangsbeschränkungen liegen wesentlich tiefer. Wer beispielsweise in Ostdeutschland oder außerhalb deutscher Grenzen, in eine Arbeiterfamilie oder mit migrantischen Wurzeln geboren wurde, hat es in Deutschland noch immer schwer, einen Fuß in die Tür des deutschen Kunstbetriebs zu bekommen. Und so sind es genau diese first-hand Perspektiven, die noch immer außen vor bleiben.
Das bestätigt auch Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, laut eines Beitrags der Süddeutschen Zeitung und sieht eben gerade in der Kunstszene eine besonders starke Ausprägung gesellschaftlicher Ungleichheit. “Ausgerechnet”, schreibt Stefan Braun für die Süddeutsche und zitiert dann Krüger, “‘Bei genauerem Hinsehen sind die Unterrepräsentanzen von Ostdeutschen und von Migranten hier noch viel gravierender. Weißer, männlicher, westdeutscher, älter.’ Das künstlerisch-intellektuelle Milieu täusche ob seiner Weltoffenheit leicht darüber hinweg, ‘dass auch hier klassische Machtstrukturen präsent bleiben’. Aus diesem Grund, so Krüger, könnte ausgerechnet der Bildungs- und Kultursektor seine Funktion als Vorreiter einer Modernisierung der Gesellschaft einbüßen”.[8] Vielleicht ist die Kunstszene ja nicht mehr ganz so männlich und bejahrt, wie Herr Krüger das sieht, aber vorbildlich ist sie in diesen Fragen deshalb noch lange nicht. Und auch der klassenkämpferische und antirassistische Ton in heutigen Diskursen erinnert leider noch zu oft an ein Mäntelchen, was man sich nach Belieben umhängen kann. Im Zweifelsfall bleibt man nämlich doch lieber unter Seinesgleichen.[9]
So waren denn auch die von mir recherchierten Zahlen zum Verhältnis von “ostdeutsch” geführten Ausstellungshäusern (4.7%) zu solchen mit “westdeutscher” Leitung (80.6%) wenig überraschend[10]. Dies betrifft Museen des gesamten Bundesgebiets, also von Frankfurt/Main bis Frankfurt/Oder, von Erfurt bis Herfurt, von Bonn bis Berlin. Die Chance, in einem ostdeutschen Museum eine westdeutsche Direktion zu finden, ist doppelt so hoch, wie die, dort eine/n Leiter/in mit ostdeutscher Biografie anzutreffen. Ostdeutsche in Führungspositionen an westdeutschen Kunstinstitutionen sind die absolute Ausnahme. Man kann sie locker an einer Hand abzählen. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren und hoffe inständig auf größer angelegte und unabhängige Studien. Laut meiner Zahlen machen ausländische Führungskräfte in deutschen Kunsteinrichtungen übrigens die restlichen 14.7% aus und kommen in der Regel aus westeuropäischen Ländern, wie den Niederlanden, Dänemark, Frankreich, Österreich oder der Schweiz.
Kürzlich fiel die entstandene Schieflage in der deutschen Kunstszene nun sogar dem Kunstmagazin Monopol auf. Da wurde berichtet, dass seit 1990 bisher nur zwei Künstler (und noch keine Künstlerin) mit Ostbiografien im deutschen Pavillon in Venedig ausstellen durften, von einer Berufung Ostdeutscher für die künstlerische Leitung der deutschen Biennale-Beiträge ganz zu schweigen.[11]
Wenn man nun also unter den Gesichtspunkten kultureller Hegemonie, gepaart mit gewissen “Siegerkunst”-Allüren (Wolfgang Ullrich), auch die deutsche Fotoszene genauer betrachtet, dann fällt eben leider auch hier sofort das starke West-Ost-Gefälle bezüglich Mitwirkung und Einflussnahme ins Auge. Auch hier hat es sich eine altbundesdeutsche Perspektive an rheinischen Ufern bequem gemacht und sich in ihren infrastrukturellen und finanziellen Privilegien relativ gut eingerichtet. Man versteht sich gern als strahlender White Cube Westdeutschlands und definiert von hier aus selbstbewusst—und zu oft selbstreferenziell—das Medium, welches man übrigens auch konsequent und allen Reformversuchen zum Trotz noch immer Photographie schreibt.
In etwas schüchternen aber PR-wirksamen Reuegesten schütteten Konzerne von Rhein und Ruhr, die durch Gold, Stahl, Aluminium und Zwangsarbeit von Nazizeit und Krieg profitiert hatten, viel Geld über die hiesige Kunst- und Photographie-Szene aus. Der Siegeszug einer so geförderten Nachkriegskunst und -Photographie lässt sich dann rheinauf- und -abwärts gut nachverfolgen. Es lässt aber auch keinen Zweifel daran, von wo aus deutsche Photographie bis heute gedacht, betrachtet, bewertet, delegiert sowie historisch und theoretisch eingeordnet wird. Stimmen aus der ewigen Dunkelkammer Ostdeutschland sind da kaum vernehmbar, und wenn sie doch von der Elbe herüberdringen, dann sind sie nicht selten rheinisch eingefärbt.
Nachdem nämlich viele westdeutsche, kuratorisch, wissenschaftlich oder akademisch Arbeitende in der alten Bundesrepublik seit den 1970er Jahren erfolgreich eigene Strukturen in Sachen Fotografie—in Form von heute tonangebenden Stiftungen, Lehrstühlen, institutionellen Sammlungen und Ausstellungsorten—aufbauen konnten, eröffneten sich ihnen seit 1990 außerdem in den neuen Bundesländern quasi konkurrenzlos und über Nacht weitere Wirkungsorte und Karrierechancen. Man war dann auch nicht zögerlich, diese Gelegenheiten “personeller Neuausrichtungen” in Anspruch zu nehmen und zeigte dabei kaum Skrupel, dass die paar verbliebenen ostdeutschen Kolleg/innen nur 70% ihres Gehalts erhielten. Viele Institutionen im Osten sind so bis heute fest in ihrer Hand - ein exemplarischer Blick nach Leipzig lohnt sich da.
In Leipzig wurden beispielsweise Diplomanwärter/innen des Fachbereichs Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, die 1993 ihren Professor – einen der bedeutendsten und international bekanntesten Fotografen aus dem Osten und einen stets aktiven Vermittler zwischen der Fotoszene in Ost- und Westeuropa – nicht von heute auf morgen gegen einen West-Import eintauschen wollten, wie zuvor “die alte Mark der DDR … [gegen] unsere DM”, wie es die aus Bonn stammende Kanzlerin ganz unsachlich formulierte, von dieser als “unflexibel” bezeichnet.[12] Das die Umstellung im Osten eine “Infusion von Kompetenz und Wissen” aus dem Westen brauchte, wie Steffen Mau zu Bedenken gibt[13], mochte in vielen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung durchaus zutreffen, erscheint aber gerade in der Kunst eher absurd. Besagter Fotografieprofessor hatte ja zur gleichen Zeit auch einen Lehrauftrag in Dortmund. Und die sogenannte Neue Leipziger Schule wurde in den 1990er Jahren durch ihre ostdeutsch geprägte Malerei eine international erfolgreiche “Marke”—nicht, wie damals erwartet, durch den nun westdeutsch geführten Fachbereich Fotografie. Der Rest ist Geschichte - mit einem sehr langen Schatten.
Gleichzeitig erkannten Westdeutsche im Osten auch schnell das symbolische Kapital eines Wirkens an unterprivilegierten Standorten. Man kann es auch aufgesetzten Street Credit nennen. In soziologisch geschulten Kreisen spricht man wohl eher von moving out to move up[14]. Zudem lag das Augenmerk neuer westdeutscher Führungskräfte auch nicht auf der Forschung, wie Carsten Probst für den Deutschlandfunk festhält, sondern vor allem auf Administration und Geschäftsleitung.[15] In einem kapitalistisch geprägten Kunstbetrieb empfiehlt man sich nun mal am besten mit guten Noten im Management und Verkauf. Wer da geschickt manövriert, dem stehen deutschland- und europaweit hinterher sehr viele Türen offen - und natürlich kann man dann auch schon mal den deutschen Pavillon in Venedig kuratieren. The sky is the limit - nicht die gläserne Decke, die viele Ostdeutsche bis heute anstarren müssen.
Beispiele solcher erstaunlichen Karrieren zementiert jedoch die Deutungshoheit der deutschen Kunst und Fotografie langfristig auf eine westliche Perspektive. Die ostdeutsche Fotografie wird so auf ihre vermeintlichen Defizite, ihre sozialdokumentarische und narrative Ausrichtung sowie ein paar ins westliche Bild passende Positionen reduziert. Unmöglich bleibt dagegen die von Colberg geforderte Korrektur der deutschen Fotogeschichte unter umfänglicher Berücksichtigung ostdeutscher Beiträge. Sarah Meister, MoMA-Fotokuratorin und zukünftige Leiterin der Aperture Foundation, beschrieb kürzlich, wie man durch das gezielte Einfügen bisher unentdeckter, vernachlässigter oder unterschätzter Werke in den Kanon, “die Aussagen, die wir über die Geschichte der Kunst treffen können, verändern kann. [Das Auffinden solcher Positionen] ist eine Kombination aus Detektivarbeit und Diplomatie, belohnt durch den Gedanken daran, was zukünftige Generationen mit diesen Bildern alles anfangen werden.”[16]
Von einer ähnlichen Art des Verantwortungsbewusstseins gegenüber einer ausgewogenen Erzählung deutscher Fotografiegeschichte und den gegenwärtigen Entwicklungen dieses Mediums sind wir leider noch weit entfernt. Im “Selbstgespräch des Westens über den Osten” (Klaus Wolfram) liegt das Zentrum wie selbstverständlich am Rhein und die Peripherie weiterhin an der Elbe. Die westdeutsche Subjektive verklärt sich so selbst zur Totalen. Eine wahrnehmbare ostdeutsche Subjektive fehlt (wie auch andere).
Zuletzt spürte man dies übrigens in der Debatte und Lobby-Arbeit um das geplante Bundesinstitut für Fotografie: da diskutieren die Expert/innen aus Düsseldorf und Essen sehr öffentlichkeitswirksam über das Für und Wider ihrer respektiven Standorte, während mögliche Optionen, wie Dresden oder Leipzig, noch nicht einmal in Betracht gezogen wurden. Dabei gäbe es sogar dezentrale Lösungen für ein solches Institut, welche bestehende Strukturen aufgreifen und föderal vernetzen könnten — und damit ein möglichst breites Spektrum an fotografischen, fotogeschichtlichen und -theoretischen Positionen demokratisch und zufriedenstellend abdecken könnten. Doch statt entsprechend inhaltlich und innovativ zu denken, argumentiert man geopolitisch und mit viel Kohle. Statt eine arbeitsfähige und -teilende Institution für die gesamtdeutsche Fotografie zu etablieren, möchte man in Deutschland mal wieder eine Art Schloss bauen. Mit Rheinblick.
Selbst eine zu diesem Thema von der geschätzten (aber auch am Rhein verankerten) Deutschen Gesellschaft für Photographie in Kooperation mit der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur veranstalteten Konferenz, kommt über “Denkanstöße für das Rheinland und Ruhrgebiet” nicht hinaus. Das bemängelte sogar die gebürtige Rheinländerin Maren Lübbke-Tidow in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als “eine Selbstbeschränkung, die dem nationalen Anspruch des künftigen Instituts nicht gerecht wird, und man musste sich fragen, warum hier nicht bundesländerübergreifend, ja international, divers und auch generationenübergreifend über ein Medium diskutiert wurde, das wie kein anderes über regionale und nationale Grenzen hinweg global verständlich und zugleich noch immer zu wenig erforscht ist und internationale Standards zur Verständigung braucht.”[17] Von den östlichen Bundesländern aus betrachtet, ist und bleibt diese Frage natürlich eine rein rhetorische, denn immerhin gibt es schon seit dem 26. Juni 1992 einen gültigen Bundestagsbeschluss, wonach “neue Bundeseinrichtungen grundsätzlich in den neuen Bundesländern anzusiedeln” seien.[18] Bald jährt sich auch der Beschluss zum dreißigsten Mal. Mit diesen Versprechen im Kopf sind wir mittlerweile alle leicht ins Alter gekommen.
Nun vollzieht sich im Osten Deutschlands aber gerade ein Generationswechsel. Die wenigen ostdeutschen Mitwirkenden und Wegbereiter, die direkt nach der Wende als Kurator/innen, Professor/innen und Kunsthistoriker/innen tätig werden (oder bleiben) konnten, gehen jetzt so langsam in den Ruhestand. Meist werden sie eher sang- und klanglos verabschiedet - ihren Lebensleistungen und Verdiensten rund um die Fotografie absolut unwürdig. Und selbst wenn sie geehrt wurden, fühlt man sich eher an Wolfgang Mattheuers “Die Ausgezeichnete” (1973/74) erinnert.
Nicht alle Zeit heilt alle Wunden gleich. Und insult follows injury, denn anschließend werden sie in der Regel durch westdeutsche Kolleg/innen beerbt. Der einseitige Elitentransfer von West nach Ost ist auch dreißig Jahre nach der Wende nicht abgeflacht. “Es ist auch beschämend, wie sich der Elitentransfer vollzogen hat”, sagt denn auch Judith C. Enders, Diplompolitologin und Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission 30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit, in einem Interview und weiter, “Viele haben gedacht, das wäre eine Übergangsphase, in der Menschen aus dem ‘Westen’ kämen und beim Aufbau hülfen und es würde sich dann in den kommenden Jahren schon wieder zurechtruckeln. Das hat es aber nicht getan.”[19]
Und es ist ja wirklich nicht so, dass es keine qualifizierten und geeigneten ostdeutschen Kandidat/innen gäbe - für Positionen in Ost und West. Wer die oft verschmähten Lebensläufe nämlich mal genauer studiert, wird feststellen, dass all diese Leute sehr gut ausgebildet, innovativ, mehrsprachig, praxiserfahren, weltoffen und hungrig sind. Doch obwohl sie eigentlich seit der Wende “alles richtig gemacht haben”, wie man im Osten gerne sagt, bleibt ihnen ein nachhaltiges Tätigkeitsfeld und ein fester Wirkungsort weiterhin verwehrt. Stattdessen finden sie sich noch immer in einer schier endlosen Warteschleifen aus Praktika, Überbrückungsstipendien, “freien” Projekten, Assistenzen und zeitlich begrenzten Anstellungen wieder. Außerinstitutionelle Stimmen. Ohne Reichweite. Von den vielen prekären Jahren gezeichnet, begleitet sie zu allem Überfluss auch noch mangelndes Selbstbewusstsein sowie bei jedem kleinen Erfolg das Imposter-Syndrome.[20] Ostdeutscher Karriere-Tango: ein Schritt vor, zwei Schritte zurück.
Es erklärt sich praktisch von selbst, ohne eine lebenslange professionelle Entwicklung, bei der sich die erweiternden Kenntnisse und die wachsende Erfahrung in einer schrittweisen Verbesserung fachlicher Anerkennung und beruflicher Zugangsmöglichkeiten spiegeln, stabilisieren sich die Karrieren Ostdeutscher in der deutschen Kunst- und Fotoszene unweigerlich auf niedrigem Niveau. An dieser traurigen Realität einer sich selbst immer wieder reproduzierenden Benachteiligung von Ostdeutschen wird sich ohne ein gezieltes und starkes Eingreifen aber leider in absehbarer Zukunft nicht viel ändern. Daher kann ich den Ruf nach einer Quote gut nachvollziehen, auch wenn ich diese zwar für struktur-, nicht aber für sachdienlich halte.
Um den über die Jahre generierten Schaffensstau sowie den Frust dieser aussichtslosen Lage vielleicht besser zu veranschaulichen, hier ein (leicht hinkender) Vergleich: Man wird ja nicht müde, die unerhörten Beispiele verhinderter und zerstörter Karrieren zu DDR-Zeiten anzuklagen und in den Medien auszubreiten. Das ist auch völlig berechtigt und notwendig. Menschen, die sich nicht verbiegen wollten, zahlten oft den Preis beruflicher Sackgassen. Sie wurden nicht selten Opfer gezielter Sabotage. Aber wie sagte Ingo Schulz so treffend, “Es wird so viel über den Osten gesprochen, um über den Westen zu schweigen”[21], denn wenn wir ehrlich sind, müssen wir wohl einräumen, dass es auch nach der Wende viel zu viele verhinderte Karrieren äußerst qualifizierter Ostdeutscher gab. Und warum? Wohl nur, weil es sie durch den Zufall der Geburt an die Elbe verschlug, statt an den Rhein.
Klar, im Einzelfall kann man den Findungskommissionen und Berufungsgremien noch nicht einmal böse Absicht unterstellen (oder nachweisen). Und doch ist das statistische Endergebnis eine glasklare Sache: Wenn im Zweifel—bezüglich der Eignung und Qualifikationen—fällt die Entscheidung in der Regel gegen ostdeutsche Biografien. Und die Zweifel kommen zu schnell, zu oft und zu willkürlich. Aber diese bewusste Nichtberücksichtigung bedeutet nicht nur ein persönliches Trauma für jeden einzelnen Betroffenen, sondern verursacht vor allem auch einen gesamtgesellschaftlichen Schaden. Denn: Wer seine klügsten, kreativsten, innovativsten, kompetentesten und produktivsten Kräfte nur aus einem beschränkten Kreis von Anwärter/innen rekrutiert, limitiert das Potenzial einer ganzen Gesellschaft. Privileg tendiert somit ins Inzestuöse, mit dem Ergebnis kultureller Atrophie und der Gefahr irreparabler Fehlentwicklungen.
Und dann kommen sie alle noch mal entrüstet aufmarschiert: Mansplaining, Whitesplaining, Westsplaining. Uns wird wieder und wieder die (oft eigene) Welt erklärt. Privileg verursacht Anmaßung auf ganzer Ebene. Und fordert gleichzeitig von Anderen immerfort Anpassung und das Spielen der braven Gastrolle. Gerne werden dafür unterprivilegierte “Gruppen” auch gegeneinander ausgespielt. Deshalb braucht es unbedingt neue und breitere Koalitionen gegenüber eitler und dauerlabernder Privilegierung. Der Moment scheint nun günstig. Eine steife Brise bläst Privilegsansprüchen gerade kräftig ins Gesicht. Kommt jetzt eine Wende? Wir wünschen uns jedenfalls auch in der Fotografie eine Zukunft, die ostdeutscher und (noch) weiblicher und internationaler und farbiger und jünger und queerer—kurz—vielfältig repräsentativ wird. Nur genuine Chancengleichheit führt durch das Miteinander von Austausch, Kooperation und, ja, eben auch echtem Wettbewerb zu neuen Horizonten.
“In einer pluralistischen Gesellschaft müssen die Unterschiede zu Wort kommen,” schreibt Steffen Mau in der ZEIT, “und auch Machtfragen gestellt werden, aber nicht, indem man qua Zugehörigkeit recht bekommt, sondern durch die normative Kraft des besseren Arguments”.[22] Genau diese Debatte auf Augenhöhe fehlt aber bis heute. Dafür brauchen wir jedoch eine bedingungslose Bereitschaft im Westen, anderen Argumenten zuzuhören und, wenn besser, diese auch einzubeziehen. Wissen und Emanzipation gehen Hand in Hand und verlangen nach größtmöglichem Austausch. Die Kampf gegen Ungleichheit und Ungerechtigkeit ist nicht die Bekämpfung derer, die bisher das Gros der Privilegien auf sich vereinten, sondern eine letztendlich faire Verteilung von Zugängen, Förderung, Anerkennung und Sichtbarkeit. “Die moralische Größe und der politische Erfolg von Bewegungen gegen jede Form von Diskriminierung beruhten stets darauf, dass sich nicht allein ‘Betroffene’ zur Wehr setzten, sondern dass sich auch andere betroffen fühlten,” schreiben daher auch Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie, die sich selbst als “alt, weiß, männlich, privilegiert” definieren, in der taz.[23] Sie meinen damit echte Solidarität.
Wahrscheinlich werden sich jedoch im Zuge der Pandemie die Verteilungskämpfe sowie auch die Auseinandersetzungen um Chancengleichheit und Privilegien in nächster Zukunft eher noch einmal verschärfen, es sei denn, wir begrüßen endlich die Gelegenheit und Herausforderung, das kollektive Bildgedächtnis Deutschlands zu einem zusammenwachsen zu lassen. Selektives Vergessen- oder Verdrängenwollen ist nunmal keine gute Lösung. Die Relevanz von Kunst und Wissen kann in einer pluralistischen Gesellschaft auf Dauer nicht in quasi-zentralistischer Manier beurteilt werden. Und schon gar nicht von einer Überzahl alter weißer Männer am Rhein. Der leidige Begriff von der Systemrelevanz ist ja nicht erst seit Corona ein Thema, als nun plötzlich die gesamte deutsche Kulturproduktion auf ihren gesellschaftlichen Wert geprüft und als entbehrlich eingestuft wurde, sondern wurde davor schon in der ein oder anderen Form bei den kulturinternen Diskussionen um die Emanzipations- und Partizipationsbestrebungen unterprivilegierter Bevölkerungsteile immer wieder zum Streitpunkt. ♦
Fußnoten:
[1] Siehe bspw.: https://www.freitag.de/autoren/manuela-branz/der-blinde-fleck-der-neuen-akademikerklasse
[2] Als “ostdeutsch” definiere ich für den Zweck dieses Artikels, Menschen, die zwischen 1949 und 2021 in den Gebieten der heutigen “Neuen deutschen Bundesländern” sozialisiert wurde. Nicht der Ort der Geburt ist also ausschlaggebend sondern die grundlegende soziale und kulturelle Prägung. Auch beschränkt sich die Anzahl der Ostdeutschen nicht auf die heute auf dem Gebiet der ehemaligen DDR lebenden Menschen, denn immerhin hat sich die dortige Bevölkerung seit 1989 von 16.5 auf heute 12.5 Millionen verringert; will heißen, zwei Millionen Ostdeutsche leben heute im Westen Deutschlands oder im Ausland. Man könnte nun geneigt sein, den tatsächlichen Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik (83 Millionen) klein zu rechnen, also auf 15% statt der eigentlichen 20%.
[3] Colberg, J. [2020]. A Few Fragmented Thoughts on Michael Schmidt. Conscientious Photography Magazine. https://cphmag.com/michael-schmidt/
[4] Frisch, K. [2020]. Tear Down This Invisible Wall: We Need to Talk about West German Hegemonies in German Academia. Elephant in the Lab. https://doi.org/10.5281/zenodo.4312885
[5] Probst, C. [2020]. Mechanismen der Verdrängung. Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/30-jahre-kulturtransfer-west-ost-mechanismen-der.1184.de.html
[6] Hierfür habe ich auf photography-now.com alle deutschen Institutionen, die auf der Online-Plattform und im Newsletter bisher Ausstellungen mit fotografischem Fokus vermelden ließen, in gelisteter Reihenfolge übernommen. Im Anschluß suchte ich im Internet anhand öffentlich zugänglicher Informationen nach den entsprechenden Leitungspersonen und deren biografischen Daten. Mittlerweile habe ich Datensätze für über 200 Institutionen, einschliesslich der wichtigsten Häuser für Fotografie und Kunst, die ich für meine Zwecke als representative sample einschätze. Wohlgemerkt, dies ist keine methodisch einwandfreie Forschungsarbeit, sondern das Zusammentragen verfügbarer Informationen—für den Zweck dieses Aufsatzes—aus Ermangelung existierender Statistiken. Leichte Abweichungen sind daher möglich, ändern aber den Verteilungen und den Tendenzen mit Sicherheit wenig.
[7] Gronert, St. [2020]. Es kommt die neue Kuratorin! Eine junge Generation erobert die Museen. Kunst / Foto / Theorie - Der Sprengel FOTO-Blog. https://www.foto-kunst-theorie.de/es-kommt-die-neue-kuratorin-eine-junge-generation-erobert-die-museen/
[8] Braun, St. [2018]. "Dieses Land wird vom Westen dominiert" — Gibt es eine Hegemonie der alten Bundesländer? Ja, sagen Intellektuelle, Wissenschaftler und Unternehmer. Und warnen vor den dramatischen Folgen. Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/politik/prominente-ostdeutsche-warnen-dieses-land-wird-vom-westen-dominiert-1.3887286
[9] siehe bspw.: https://www.tagesspiegel.de/kultur/rassismus-in-deutschland-muenchner-ex-museumschef-okwui-enwezor-ich-war-nicht-mehr-erwuenscht/22927854.html
[10] Dies deckt sich auch mit den Zahlen festangestellter Professoren und Lehrkräfte für Fotografie an deutschen Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen und Akademien: Hier machen Ostdeutsche 5.5% und Westdeutsche 81.3% aus. 13.2% kommen aus dem zumeist europäischen Ausland. Die Informationen entnahm ich der DGPh-Webseite (https://www.dgph.de/foto-studium) und glich sie, soweit möglich, mit öffentlich zugänglichen biografischen Informationen im Internet ab.
[11] Völzke, D. [2021]. Westdeutscher Pavillon. MONOPOL Magazin. https://www.monopol-magazin.de/deutscher-pavillon-ostdeutsche-kuenstler
[12] Liebert, J. / Immisch, T.O. [2011]. Mein Leben war Liebe und Lust. Vice Magazine. https://www.vice.com/de/article/qbn5w5/mein-leben-war-liebe-und-lust-0000017-v7n10
[13] Mau, Steffen (2020). Lütten Klein - Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft. Suhrkamp, Berlin. S. 179.
[14] Ebd.
[15] Probst, C. [2020]. Mechanismen der Verdrängung. Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/30-jahre-kulturtransfer-west-ost-mechanismen-der.1184.de.html
[16] Peterson, P. [2021]. The 10 Photographs That Shaped This MoMA Curator’s Career. BuzzFeed News. https://www.buzzfeednews.com/article/piapeterson/photographs-moma-sarah-meister-curator
[17] Lübbke-Tidow, M. [2021]. Fotografien sind unsere Erinnerung. Frankfurter Allgemeine Zeitung. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/aufgaben-eines-fotoinstituts-dessen-gruendung-noch-bevor-steht-17220752.html
[18] siehe: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/12/028/1202853.pdf oder https://de.wikipedia.org/wiki/Föderalismuskommission
[19] Reichel, N. [2021]. Die Dritte Generation Ostdeutschland - Ein Gespräch mit Dr. Judith Christine Enders. Demokratischer Salon. https://demokratischer-salon.de/beitrag/die-dritte-generation-ostdeutschland/
[20] Güngör, D. [2018]. Warten auf den Moment, in dem es auffliegt. ZEIT ONLINE. https://www.zeit.de/kultur/2018-07/hochstapler-syndrom-gesellschaftliche-minderheiten-psychologie
[21] Geißler, C. [2020]. Ingo Schulze: „Es wird viel über den Osten gesprochen, um über den Westen zu schweigen“. Berliner Zeitung. https://www.berliner-zeitung.de/zeitenwende/schriftsteller-ingo-schulze-wir-haben-die-macht-schnell-wieder-abgegeben-li.81417
[22] Hensel, Machowecz, Mau, Warda & Hähnig [2021]. Wer wir sind. Sind wir wer? Die ZEIT im Osten. https://www.zeit.de/amp/2021/11/identitaetspolitik-ostdeutschland-ungleichheit-diskriminierung-deutsche-einheit
[23] Cohn-Bendit & Leggewie [2021]. Nur mit Pluralität und Toleranz. taz-lab. https://taz.de/Gedanken-fuer-eine-bessere-Gesellschaft/!5754646/
Daniel Blochwitz, geb. 1973 in Ilmenau, hat in den USA studiert und 2003 mit einem Master of Fine Arts in Fotografie von der University of Florida abgeschlossen. Nach dem Studium ging er auf Einladung des Whitney Museums nach New York, um das dortige postgraduierte Independent Study Program zu besuchen. 2005 begann er, für verschiedene Galerien zu arbeiten, anfänglich in New York City und später als Leiter der auf Fotografie spezialisierten Galerie Edwynn Houk in Zürich. Seit 2015 ist Blochwitz freier Kurator und betätigt sich darüber hinaus als Publizist, Dozent und Berater in Sachen Fotografie. Er lebt in Zürich.
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Kommentar von Dieter Zinn, Hamburg, 29. April 2021:
Vielen Dank für den interessanten Artikel mit Informationen, die mir bisher nicht bekannt waren. Sehr überrascht hat mich das Ost/West Verhältnis in Bereichen der Fotografie, Museen und Lehre. Da ist ja wirklich Veränderung und Umdenken angesagt. Der Autor verweist mit nachvollziehbaren Gründen auf Ursachen dieses Ungleichgewichtes.
Hilfreich gewesen wären Überlegungen, mit welchen Mitteln man, vor dreißig Jahren, die beschriebene Problematik hätte verhindern können. Um daraus für gegenwärtige Situationen wirksames Handeln zu ermöglichen. Auch zu dem Zitat von Jörg Colberg, dass es „eine Eingliederung Ostdeutschlands in die westdeutsche Bundesstruktur“ gab, hätte ich gerne (wenigstens) einen erhellenden Gedanken gelesen, wie es stattdessen hätte funktionieren sollen.
Doch wenn schon nicht „damals“, wäre es in der heutigen Situation, interessant vom Autor zu erfahren, welche bekannten Anstrengungen in den neuen Ländern bisher unternommen wurden, um einer „verhältniswidrigen Überrepräsentanz Westdeutscher“ entgegenzuwirken.
Ich finde es auch „sehr spannend, einen genuinen Blickwechsel auf Augenhöhe zu haben, oder gar endlich auch mal westdeutsche Fotografie aus der kritischen Distanz einer östlichen Perspektive zu betrachten“ zu sehen. Doch wer kennt und benennt die Ursachen für dieses Manko? In diesem Kontext interessiert mich auch welches Fazit der Autor daraus zieht, dass in 30 Jahren, in einer sich stetig öffnenden, globalisierenden Welt, sich keine eigenständige Entwicklung aus der „ausgebildeten und berufstätig gewordenen Generation ostdeutscher Fotoexpert/innen“ gebildet hat.
Leider fehlen mir Informationen im Text, mit welchen Parametern der Autor feststellen konnte, dass es „viel zu viele verhinderte Karrieren äußerst qualifizierter Ostdeutscher“ gab. Und wer genau diese Karrieren verhindert hat?
Behauptungen wie „persönliche Traumata“ oder dem Vergleich der heutigen Wirklichkeit in Deutschland mit „zerstörten DDR-Karrieren“ wirken auf mich polemisch. Entsprechende Fakten dazu würden dem sachlichen Anspruch des Textes sicher gerecht. Zudem wirkt der Verweis des „Elitentransfers“ auf mich sehr undifferenziert. Ich frage mich, wer genau bestimmt, was und wer mit „Elite“ gemeint ist und in welchen Kontexten diese Zuordnungen verwendet werden.
Und noch eine Anmerkung. – Niemandem ist vorzuwerfen, dass er in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen ist. Wer von Privilegierten spricht, spricht auch von Nichtprivilegierten und teilt damit Menschen in Gruppenzugehörigkeiten ein, so dass sich ständig nur Opfer und Privilegierte gegenüberstehen. Dieses Denken verstehe ich als zutiefst illiberal und als eine der Ursachen zeitgeistiger Identitätspolitik. Man kann also selbst „privilegiert“ sein, wie viele der „alten weißen Männer“, und sich trotzdem für die einsetzen, die es schwer haben. Genau deswegen gehöre ich zu den Menschen, die den „alten weißen Männern“ zutiefst dankbar sind, für ihre Arbeit um dieses demokratische Deutschland aufzubauen mit dem Geist der Verantwortung, Freiheit und sozialen Absicherung. ♦
Kommentar von Inka Schube, Berlin/Hannover, 1. Mai 2021:
Aus der Perspektive‚ geboren 1961 in Sachsen-Anhalt, Diplom Kunstwissenschaften 1987 an der Humboldt Universität zu Berlin, bis zur Festanstellung West 2001 finanziert über Freiberuflichkeit, Arbeitslosenprogramme, Stipendien: In der gesamten DDR wurden jährlich etwa 20 - 25 Studienplätze Kunstwissenschaft vergeben, in Berlin alle zwei Jahre 18. Gemäß Planwirtschaft war nach fünf Jahren Regelstudienzeit genau diese Anzahl Stellen neu zu besetzen. Arbeitslosigkeit oder Freiberuflichkeit waren nicht vorgesehen. Tatsächlich hat unser Jahrgang eine erstaunliche „Quote“. Etwa zwei Drittel arbeiten heute in verantwortlichen Positionen – dabei galten wir aus der Perspektive der Vertreter des Staates DDR als desillusioniert, unmotiviert und unengagiert. (Quellen siehe Horst Bredekamp u.a., „In der Mitte Berlins: 200 Jahre Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität“, Berlin, 2010) Aber „wir“ waren verstreut unterwegs zwischen Antike und Gegenwart, was der Netzwerkbildung nicht gerade förderlich ist.
Inzwischen studieren jährlich wie viele Hunderte Kunstgeschichte, Kunstwissenschaften?
Viele meines Jahrgangs sind in Berlin geblieben. Mich haben die Umstände 2001 an das Sprengel Museum Hannover geführt. Kurz nach dem Antritt der Stelle lobte mir jemand den Mut des Hauses, es mit einer Person aus dem Osten zu wagen. Jemand fragt mich, wie ich als Ostlerin habe wissen können, was ein guter oder schlechter Kinderladen sei, wo ich doch dafür keine Maßstäbe haben könne. Jemand äußerst Erstaunen darüber, dass ich trotz meiner Herkunft in der Lage sei, einen postmodern anmutenden Text zu schreiben. Jemand meint sich vergewissern zu müssen, dass ich, da ich auch amerikanische Fotografie kuratiere, ganz sicher im Westen sozialisiert sei. Jemand bedauert mitfühlend, dass ich aufgrund meines DDR-Hintergrunds keinen Glauben praktizieren würde. Jemand vergesse immer, dass ich aus dem Osten sei, da ich ja auch deutsch spreche. – Ich zitiere in dieser wirklich nur kleinen Auswahl ausschließlich Intellektuelle, die sich mindestens als liberal und weltoffen verstehen.
Möglicherweise sind nicht viele für Stellenbesetzungen Zuständige so „mutig“ wie Ulrich Krempel 2001. Die erste wirklich umfangreiche Monografie einer fotografischen Position mit DDR-Hintergrund war (wenn ich mich nicht arg täusche) 2004 unser 320-Seiten-Band zum Werk von Helga Paris (sieht man von einem zehn Jahre zuvor erschienen Band über ein Werk ab, das die DDR als so etwas wie ‚Strapse in Ruinen’ vorführte).
Man sollte denen, die über Stellen entscheiden, mehr Mut zu wünschen, auch wenn Menschen mit in anderen Kontexten gesammelten Erfahrungen nicht immer so ganz reibungslos in bestehende Strukturen passen. Denn natürlich professionalisiert sich in den alten Bundesländern jugendliches Interesse an Kunst in geschmeidig-traditionsreichen Netzwerken bürgerlichen Kulturengagements. Familiäre Hintergründe, die volle Konzentration auf das Studium inkl. Semester an hochkarätigen ausländischen Universitäten und Kontakte für den beruflichen Einstieg bieten, sind unbestreitbar vorteilhaft (zur Vermögensverteilung innerhalb Deutschlands siehe Link aus der WELT ).
Letztendlich aber ist die mangelnde Präsenz von Menschen mit DDR-Hintergrund ‚im Betrieb’ wohl ein Teilproblem eines weitaus größeren gesamtgesellschaftlichen Dilemmas. Solange nicht einmal die für den Berufsweg unabdingbaren Praktika entlohnt werden – selbst der Tarifvertrag Öffentlicher Dienst sieht dies nur für Pflege- und Sozialberufe vor – darf man sich über mangelnde Teilhabe von Menschen, die jenseits des tradierten westdeutschen Wohlstands aufwuchsen, nicht wundern. Und selbstverständlich hat dies wiederum Auswirkungen darauf, welche Art das kulturell-gesellschaftliche Gedächtnis ist, das wir in Museen und Sammlungen produzieren, und wie wir es in welchen gesellschaftlichen Diskursen als Ressource anbieten und nutzen.
Und wie ist diesem Dilemma beizukommen? Zuhören ist unabdingbar.
Und ich möchte auch einfach keine überregionalen Zeitungen mehr in die Hand nehmen müssen, in denen Themen aus den Neuen Bundesländer in gesonderten Rubriken behandelt werden (solange nicht etwa auch Süddeutschland oder Norddeutschland extra Seiten zugewiesen bekommen). Und ich möchte mich nicht mehr über den Ausdruck „ehemalige DDR“ wundern müssen: Sagt einfach DDR. Wir wissen, dass sie nicht mehr existiert, so wie es auch die Bonner Republik schon lange nicht mehr gibt.
Wenn wir das Ganze betrachten, stehen ganz oben auf der Liste unübersehbar politische Aufgaben, wie die Verringerung der frühzeitigen Segregation im Bildungssystem, die Verringerung der sozialräumlichen Segregation auf dem Wohnungsmarkt etc. Wir müssen miteinander leben wollen. ♦
Kommentar von Andreas Krase, Berlin, 11. Mai 2021:
Handelt es sich beim RB Leipzig um eine Fußballmannschaft, die für den Osten Deutschlands stehen könnte? Ja und – eindeutig nein. Der neugegründete Verein ist das Ergebnis von gewaltigen Investitionen durch einen Getränkekonzern. Und ein gefälschtes Label.
Der Beitrag von Daniel Blochwitz über Deutungshoheiten in der deutschen Fotoszene und Unterschieden zwischen Ost und West kommt unerwartet. Unerwartet auch deshalb, weil, wie im Text erwähnt, über den Osten viel geredet und über den Westen lange genug geschwiegen worden ist. Und weil es als degoutant erscheint, mehr als 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik mit dem Finger auf existierenden Ungleichgewichte Ost/West im Fach Fotografie zu weisen. Ein Dilemma und im Ausmaß ein Skandal: Man hat sich eingerichtet – und so auch die Kellerkinder im recht gut ausgestatteten Keller - aber eben nicht miteinander. Ich gestehe, mich bei manchen Zitaten und Feststellungen durchaus amüsiert zu haben. Doch führt an dem Ernst des Befundes kein Weg vorbei.
Ich gehöre auch zu den irgendwie legendären Absolventenjahrgängen von Humboldtianern, die in den 1980er Jahren ihr Studium der Kunstwissenschaft in Berlin beendeten und danach ein zumeist geregeltes Berufsleben noch innerhalb der DDR beginnen konnten. Mein Jahrgang sollte im Rückblick zu den weniger erfolgreichen zählen. Die klassischen Museumsfächer und die Denkmalpflege haben aber trotz mancher Untiefen um 1989 für anhaltende Beschäftigung gesorgt – bis heute. Wir waren etwa 15 Leute im Studienjahr, Mädchen und Jungs fiftyfifty, nicht wenige stammten, den politischen Vorgaben zuwider, aus akademischen Haushalten, waren auch familiär der Kunstgeschichte verbunden. Ein elitäres Grüppchen in der Nischengesellschaft?
Mit der Fotografie, dieser "illegitimen Kunst", verhielt es sich besonders. Die Interessierten kamen aus unterschiedlichen Kreisen, einige waren auch Kommilitonen. Etwas später als im Westen begannen sich erste Strukturen zu entwickeln, staatlich geförderte und geduldete, offizielle und nichtoffizielle, die Arbeits- und Auftragsverhältnisse unständig und häufig konfliktbeladen.
Ein Generationswechsel im musealen und akademischen Bereich Fotografie der Bundesrepublik vollzieht sich in West und Ost seit längerem – dies hat noch immer mit der international erfolgenden Musealisierung der Fotografie seit Mitte der 1970er Jahre und ihren Protagonisten zu tun.
Was die Veränderungen nach 1989 im Fach Fotografie im Osten Deutschlands brisant machte, war auch der besondere Bezug der Fotografie zur jüngeren Geschichte und zur Gegenwart – mit ihr und über sie wurden stellvertretend auch politische Positionierungen verhandelt. Wegen des geringeren Grades an Institutionalisierung erledigten nicht allein schon die Evaluierungskommissionen die Arbeit des Auskehrens von Ostdeutschen. Mich erwischte es aber auch – mit nachfolgenden Warteschleifen, akademischer Qualifikation und schließlich dem Wiedereinstieg als Kustos. Hier mein selbst mitgebrachter Stuhl! - um Daniel Blochwitz zu zitieren.
Die euphemistisch "Elitentransfer" genannte Verdrängung West – Ost in den 1990er Jahren erfolgte in großer Breite, mit nachfolgender Konsolidierung in den 2000er Jahren. Nun laufen die Berufungsketten wie geschmiert und immer weiter. Sollte man nicht jeder der hochqualifizierten neuen Stelleninhaberinnen den Job gönnen? Es wird wohl noch mindestens eine Generation dauern, bis sich an der Einseitigkeit der Verteilung beruflicher Chance etwas ändert. Es war keine Wiedervereinigung, nein. Es ist schade um die unbeachteten Potentiale der etwas anderen Biografien, der anderen Blicke und Verständnisweisen, der Erfahrungen von Systembruch und kritischer Neubestimmung.
Und wer sollte sich denn kümmern? Die Staatsministerin für Kultur und Medien beruft Expertenkommissionen, die ein geplantes Bundesinstitut für Fotografie ein wenig – ja, Daniel Blochwitz – die Rheinschiene entlang schieben. Und dies scheinbar völlig abgekoppelt vom Reflektieren über Ost und West, wie sich auch am beteiligten Personal ablesen lässt. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung ist für den Osten zuständig, aber nicht für Fotografie. Mein Arbeitsort Dresden, sehr im Osten, hat immer noch keine Lobby, weil die vorhandenen Institutionen mit Fotografie- und Medienkunstbezug zu schwach aufgestellt sind. Und der RB Leipzig spielt nur Fußball. ♦
Interview mit Sven Johne in MONOPOL am 22.5.21.
Passend zum Thema möchten wir hier auf ein Interview hinweisen, das mit Sven Johne (studierte Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig) anlässlich seiner Ausstellung in Magdeburg geführt wurde. Link zum Interview
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